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Jens Lehmann

© dpa

Jens Lehmann: Der König lebt

Mit seiner Leistung in Dublin beendet Jens Lehmann die Diskussionen um seinen Status in der Nationalelf. In dieser Form führt an der deutschen Nummer eins kein Weg vorbei.

Spät am Abend legt sich die Kälte über Dublin, und der Wind pfeift durch die offene Seite des Croke Parks. Jens Lehmann trägt ein blaues Handtuch um die Schultern, aus der Ferne sieht es aus wie ein königlicher Umhang. Fernsehkameras verfolgen ihn. Langsam geht der deutsche Torwart vom Platz, beinahe majestätisch, als genieße er jede Sekunde. Wer hat hier behauptet, der König sei tot? Er lebt, und alles, was er seinen mutmaßlichen Thronfolgern zugestehen mag, ist ein zeitweiliges Interregnum, wenn wie zuletzt der lädierte Ellenbogen einen Einsatz verhindert. „Das ist auskuriert“, sagt Lehmann. Und doch muss er beim nächsten Mal wieder zuschauen. Am Mittwoch in München, wenn die Nationalmannschaft Tschechien empfängt. Weil Lehmann seine zweite Gelbe Karte in der Qualifikation sah, ist er automatisch gesperrt. An seiner Stelle wurde Robert Enke nachnominiert.

Für die Deutschen geht es in München nur noch ums Prestige. Die Teilnahme an der Europameisterschaft hat sie am Samstag gesichert, mit diesem 0:0 gegen die Iren, das vor allem Jens Lehmann zu verdanken war. Es war sein Abend, sein Spiel, sein Auftritt. Mit beeindruckender Sicherheit holte Lehmann jede hohe Flanke vor den kopfballstarken Iren aus der Luft. „Jens hat uns in der Abwehr mal wieder hervorragend gecoacht“, erzählt der Münchner Marcell Jansen. Und als es Irlands frei vor ihm auftauchender Kapitän Robbie Keane bei der größten Chance mit einem Flachschuss probierte, hatte Lehmann das bessere Ende für sich.

Vor fünf Wochen hatte er beim Länderspiel in Wales (2:0) das bislang letzte Mal im Tor gestanden. Bei Arsenal sitzt Lehmann zurzeit nicht mal auf der Bank, unter seinem Stellvertreter Manuel Almunia hat der Tabellenführer der Premier League noch keinen Punkt abgegeben. Es ist viel zuletzt geredet und spekuliert worden über den verlorenen Stammplatz und mangelnde Spielpraxis. Lehmann winkt ab: „Das ist eine Diskussion in den Medien.“Da kann der ehrgeizige Timo Hildebrand noch so oft erzählen, er warte geduldig auf den Rücktritt der Nummer eins. Lehmann ist 37, aber am Ende seiner Karriere sieht er sich noch lange nicht. „Diesen Zeitpunkt bestimmen nur zwei Menschen: der Bundestrainer und ich.“

Der Bundestrainer denkt ganz offensichtlich nicht daran. „Jens hat ein sehr gutes Spiel gemacht, seine Leistung war tadellos, seine Strafraumbeherrschung hatte Klasse“, sagt Joachim Löw. Und die Gelbe Karte? Kassiert für eine Spielverzögerung, als er weit aus seinem Tor geeilt war und hinter der Seitenlinie den Ball nicht loslassen mochte, um einen Einwurf der Iren zu verzögern? Löw legt größten Wert auf Disziplin, aber dieser Eingriff wider das Regelwerk fand seine Zustimmung: „Es ist besser, dass er den Ball festhält, als dass wir einen schnellen Einwurf kassieren und das Tor leer ist.“

Lehmann erzählt später, die Verwarnung gehe wohl in Ordnung, „die Regel ist nun mal so“. Und: „Der Schiedsrichter hat mir später erzählt, ich hätte ihm einfach sagen sollen, dass ich keine Gelbe Karte haben will, dann hätte er mir auch keine gegeben.“ Lehmann spricht solche Sätze immer mit gesetzter Stimme, so dass man nie genau weiß, ob er das nun ernst meint oder nicht. Natürlich wäre er am Mittwoch gegen die Tschechen gern dabei gewesen, schon mal deswegen, „weil ich in den letzten Wochen nicht allzu viele Spiele hatte“. Und weil es nach München geht, in die Heimat seines alten Rivalen Oliver Kahn, gegen den er gerade wieder einen kleinen Fernstreit inszeniert hat. Außerdem steht die Kür an. Die deutsche Mannschaft darf sich vom eigenen Publikum feiern lassen für die schnellste EM- Qualifikation aller Zeiten. So streitlustig Lehmann nach außen auch wirken mag, diesen Applaus hätte er sich schon gern abgeholt. Auch und vor allem in München.

So wird es nun am Mittwoch ein bisschen sein wie bei der WM vor einem Jahr. Lehmann macht die Arbeit, die Gala genießen andere. Mit seinen Paraden im Elfmeterschießen gegen Argentinien hatte er die Deutschen ins Halbfinale geboxt. Bei den beiden Gegentoren gegen Italien war er chancenlos, und als es im Spiel um Platz drei gegen Portugal ans Feiern ging, nahm Kahn die Ovationen entgegen. 15 Monate später wird in München Timo Hildebrand das deutsche Tor hüten. Der ehrgeizige Stuttgarter, der jetzt in Valencia spielt und es gar nicht abwarten kann, bis Jens Lehmann endlich abtritt.

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