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Dieses Mal funktionierte der Plan von Joachim Löw.

© dpa/Philipp Guelland

Joachim Löw bleibt standhaft: Sein großer Sieg gegen die Kritiker

Nach dem 0:1 gegen Frankreich gab es massivem Widerstand gegen den taktischen Plan des Bundestrainer. Aber der ließ sich davon nicht beirren. Und behielt Recht.

Ganz am Ende wurde den deutschen Fans in der Münchner Arena noch einmal ein besonderer Moment der Freude zuteil. Es lief bereits die Nachspielzeit im Duell der Nationalmannschaft gegen Portugal. Cristiano Ronaldo versuchte es ein letztes Mal auf der linken Seite, er probierte es mit einer Finte gegen seinen Gegenspieler – und traf den Ball dabei so unglücklich mit seinem Standbein, dass er ins Toraus kullerte.

Auf den Rängen brach hämischer Jubel aus. Zwingend nötig wäre es nicht gewesen, sich am Missgeschick des fünfmaligen Weltfußballers Ronaldo zu ergötzen. Die eigene Mannschaft hatte den deutschen Fans an diesem Abend eigentlich genügend Anlässe zum Jubeln geliefert. Viel mehr jedenfalls, als die meisten in ihren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hätten.

Joshua Kimmich, 26 Jahre alt und seit der Europameisterschaft 2016 in Frankreich fester Bestandteil der deutschen Nationalmannschaft, wurde nach dem 4:2-Sieg gegen die Portugiesen gefragt, ob es das beste Turnierspiel gewesen sei, das er mit dem Team erlebt habe. Die Frage war durchaus berechtigt. So leicht und beschwingt hat man die Deutschen jedenfalls lange nicht mehr erlebt. „Die Energie war da“, sagte Thomas Müller. „Wir hatten deutlich mehr Freude in der Offensive.“

Löws Plan geht auf

Genau darum war es gegangen nach dem trägen EM-Auftakt gegen den Weltmeister Frankreich, der im Land zu großer Ernüchterung geführt hatte und wie immer in solchen Situationen einige Überreaktionen zur Folge hatte. Nach der 0:1-Niederlage war plötzlich alles schlecht, obwohl der Ansatz von Bundestrainer Löw, gegen die offensivfreudigen Franzosen den Fokus eher auf die eigenen Defensive zu richten, alles andere als ein Verrat an der nationalen Sache gewesen war.

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Trotzdem musste nun natürlich alles anders werden. Löw sah sich mit massivem Widerstand gegen seinen taktischen Plan konfrontiert. Viererkette – jetzt!, lautete die Forderung an den Bundestrainer. Aber Löw ließ sich davon nicht beirren. Und behielt Recht. Der Sieg gegen Portugal war daher auch ein ganz persönlicher Sieg für den Bundestrainer. Weil er nicht einknickte, weil er an seiner Idee festhielt, nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung.

„Der Plan ist eigentlich gut aufgegangen“, sagte Löw. Die Grundzüge hatte er schon in der Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel skizziert. Dass es beim 3-4-3 bleiben würde, ließ er dabei recht deutlich erkennen. Verbunden mit der Vorgabe, dass dieses System deutlich offensiver interpretiert werden müsse, nämlich „nach vorne dynamischer, intensiver, präziser“. Und genau das taten die Deutschen gegen Portugal von der ersten Minute an.

Löw, dem nach der Niederlage gegen Frankreich eine hasenfüßige Haltung vorgeworfen worden war, entdeckte seine Lust am Risiko neu. „Der Auftrag war, dass wir in der Offensive eine andere Kraft erzeugen“, sagte er.

Zum Erfolg seiner Taktik trugen vor allem die deutlich höher postierten Außenverteidiger Joshua Kimmich und Robin Gosens bei. „Es war unser Ansinnen und unser Plan, dass wir über die Außenposition mehr für Gefahr sorgen“, erklärte der Bundestrainer. „Die Außenverteidiger haben bewusst höher gespielt. Wir wollten hinter die Abwehr. Beide haben es super gut gemacht.“

Kimmich und/oder Gosens waren an allen vier Toren in irgendeiner Weise beteiligt. Das zwischenzeitliche 4:1 resultierte sogar aus einer Co-Produktion der beiden Außenverteidiger. „Das war sinnbildlich“, sagte Innenverteidiger Matthias Ginter. Als Kimmich auf der rechten Angriffsseite den Ball hatte, rückte Gosens von links in den Strafraum ein und erzielte per Kopf sein zweites Länderspieltor.

In einer ähnlichen Position hatte er sich auch ganz zu Beginn des Spiels befunden, als er nach einer Hereingabe von Innenverteidiger Matthias Ginter aus dem Halbfeld per Scherenschlag zum vermeintlichen 1:0 traf, das dann wegen einer Abseitsposition zuvor allerdings nicht zählte.

Einige Baustellen bleiben

„Wir haben die Portugiesen in der Defensive einige Male überfordert“, sagte Löw. Und das, ohne die eigene Abwehr allzu sehr zu vernachlässigen. Trotzdem kassierten die Deutschen zwei Gegentore, und ihre Entstehung verwies auf ein Problem, das Löw und seine Mannschaft immer noch nicht in den Griff bekommen haben. „Wir haben aus dem Spiel wenig zugelassen. Das ist schon mal positiv“, sagte Ginter.

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Aber bei ruhenden Bällen ist das deutsche Team weiterhin zu anfällig. Alle drei Gegentore bei der EM fielen im Nachgang eines Standards: das 0:1 gegen die Franzosen nach einem Einwurf, das 2:4 gegen die Portugiesen nach einem Freistoß und deren 1:0 nach einer Ecke. Nach einer Ecke für die Deutschen. Löw hatte seine Mannschaft vor dem Spiel explizit darauf hingewiesen, wie gefährlich Portugal in solchen Situationen umschaltet. Es half nicht.

„Wir müssen weiter an unserer Balance arbeiten“, sagte Joshua Kimmich, „dass wir hinten wenig zulassen und uns trotzdem Chancen erarbeiten“. Immerhin sieht es inzwischen wieder so aus, als könnten die Deutschen dazu bei der Europameisterschaft doch noch einige Gelegenheiten erhalten.

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