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Dieser Weg wird kein leichter sein… Die Herren Schmelzer, Mertesacker, Boateng und Schweinsteiger (von links) bei der Analyse des Erlebten am Mittwochabend in Stuttgart. Foto: Imago

© imago/Team 2

Joachim Löw ohne Plan B: Warum Chile den moderneren Fußball spielt

Nach dem WM-Testspiel gegen Chile wurde deutlich: Die Deutschen haben keinen Plan B, wenn Unvorhergesehenes passiert. Dabei erinnert gerade der moderne Fußball der Chilenen an die Auftritte der Deutschen bei der WM 2010. Die Zeiten scheinen vorbei.

Es war nicht ganz eine Stunde gespielt, da schnellte Joachim Löw wie von einem Geschossbolzen getrieben unter dem Dach seines Trainerhäuschens hervor. Seine Wut und sein Ärger galten in diesem Moment Jerome Boateng, dem Innenverteidiger vom FC Bayern, der nach einem Ballgewinn einen schlampigen Pass spielte.

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Wie so ziemlich jeder der deutschen Pässe an diesem Abend verfing auch dieser sich an einem chilenischen Fuß. Das ganze Fußballfeld der Stuttgarter Arena schien übersät von chilenischen Füßen. Weshalb der Bundestrainer in Dauerwallung war. Nein, es lief nicht viel zusammen bei seiner Mannschaft, die nur einen lichten Moment hatte und das Spiel mit viel Glück 1:0 gewann. Doch jeder sah, dass dieses Spiel auch hätte ziemlich hoch verloren werden können, so delikat, wie die deutsche Elf vorgeführt worden war.

Überfall- und Flitzebogenfußball

Es war kein Vorführen im üblichen Sinne. Es war mehr ein Hinwegfegen. Es war eine Mischung aus Überfall- und Flitzebogenfußball, den die kleinen, wendigen und wilden Chilenen boten. Sie rannten und passten und rannten und passten, bis die Deutschen stehend k.o. waren. Ihr Spiel war ein einziger Dauersprint, was für die Deutschen Dauerstress bedeutete. Alles, was sie taten an diesem Abend, taten sie im Schwarm. „Sie sind läuferisch und technisch hervorragend“, sagte Löw und sprach von einem unorthodoxen Stil, mit dem seine Mannschaft so ihre Schwierigkeiten hatte.

Älteste deutsche Mannschaft seit EM-Finale 2008

Aber was heißt unorthodox? Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass die Deutschen momentan nicht auf Höhe des Spiels sind. Es war eher ein hochmoderner Fußball, den die Nummer drei der Südamerika-Qualifikation bot. Es war ein Fußball, der sie schon im Herbst zu einem 2:0-Sieg in Wembley geführt und Spanien beim 2:2 alles abverlangt hatte. In seinen mitreißenden Momenten erinnerte dieser Fußball an die Auftritte der jungen deutschen Mannschaft bei der WM 2010 in Südafrika. Lange her. Die Elf, die Löw am Mittwochabend aufbot, war die älteste deutsche (Durchschnitt 27,8 Jahre) seit dem EM-Finale 2008.

„Vielleicht setzen die Chilenen gerade neue Standards“, sagte Per Mertesacker, der deutsche Abwehrchef vom FC Arsenal. „Die haben mal gezeigt, wie man guten Fußball spielen kann, zumindest bis zum Tor.“ Mehr Torschüsse (17:6), mehr Ecken (13:4) und die klar besseren Torchancen standen im krassen Gegensatz zum Ergebnis. „Wir haben zum Glück in 80 Prozent der Fälle noch ein Bein dazwischenbekommen und in 20 Prozent haben uns Manuel Neuer und die Latte gerettet“, sagte Mertesacker. Das alles habe mal schön aufgezeigt, woran noch zu arbeiten sei, wenn es mal gegen ein ungewöhnliches System geht. Insofern: „Ist mal gut, dass wir sie gespielt haben.“

Keine Antwort auf unerwartete Widerstände

Denn das Erschreckende war ja auch, dass die deutsche Elf in der zweiten Halbzeit nicht reagieren konnte. Es bleibt offenbar ein Problem dieser Mannschaft, auf ungewöhnliche Stilrichtungen oder unerwartete Widerstände angemessen zu antworten, wie das ja auch schon vor zwei Jahren im EM-Halbfinale gegen Italien zu bemängeln war. Ein Blick in die Coaching-Zone sprach Bände. Während Joachim Löw sich immer wieder abwendete und sogar einmal hinter seinem Häuschen verschwand, weil er nicht mehr hinsehen mochte, tigerte Chiles kahlköpfiger Trainer Jorge Sampaoli sturm- und drangvoll durch sein Rechteck. Und so spielte auch ihre Mannschaft, angeführt von Alexis Sanchez vom FC Barcelona und Arturo Vidal von Juventus Turin.

Deutsche liefen Geschehen hinterher

Ihr Tun war verwegen, aufsässig, temperamentvoll und giftig. Dabei gingen sie erdenklich hohes Risiko. In der zweiten Hälfte, als die Deutschen ihrem hohen Pressing nicht mehr viel entgegenzusetzen hatten, agierten sie in einen 2-4-4-System – von hinten gerechnet. Löw imponierte die abgeklärte Waghalsigkeit der chilenischen Defensive, wie die beiden verblieben Verteidiger perfekt mit Drucksituationen umgingen: „Da kommen drei, vier Spieler von uns auf sie zu, aber das interessiert sie gar nicht.“

Vor allem liefen die Deutschen dem Geschehen nur hinterher. Auch die bayrische Doppel-Sechs aus Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger bekam kein Zugriff aufs Spiel. Das einst so gute Umkehrspiel der Deutschen stockte, bis es ganz zum Erliegen kam. Bei eigenen Ballgewinnen hätte man mit einem straffen Pass in die Tiefe mal fünf, sechs oder sieben aufgerückte Chilenen hinter sich lassen können. Doch diese Pässe wurden nicht gespielt oder aber verfingen sich in den zugestellten Passwegen. „Viele Bälle nach vorn sind heute kaputt gegangen“, sagte Löw. Wenn es denn mal nur die Bälle waren.

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