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Sport: Joseph Blatter: Interview: "Entweder du gehst eine Runde weiter - oder nach Hause"

Joseph Blatter (65) ist seit 1998 Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa. Herr Blatter, in acht Monaten beginnen in Südkorea und Japan die Fußball-Weltmeisterschaften.

Joseph Blatter (65) ist seit 1998 Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa.

Herr Blatter, in acht Monaten beginnen in Südkorea und Japan die Fußball-Weltmeisterschaften. Die südkoreanischen Organisatoren haben bereits umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen angekündigt und eingeleitet. Ein fröhliches Fußball-Fest wird diese Weltmeisterschaft wohl nicht werden.

Die internationale Fußballgemeinschaft und auch ich waren und sind immer noch zutiefst erschüttert über die Anschläge in den USA. Aber das Exekutiv-Komitee der Fifa war auch der Auffassung, dass der Fußball nicht vor der Gewalt kapitulieren darf und ein Zeichen der Hoffnung setzen muss. Und dies soll auch an der WM sichtbar sein.

Fußball, Olympia, der Sport allgemein wird nicht mehr das sein, was er vor dem 11. September war.

Unsere Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Aber der Sport und insbesondere der Fußball müssen gerade unter solch tragischen Umständen die Ideale des Fairplay und die Gewaltlosigkeit zur Wiederachtung vor der Würde jedes einzelnen Menschen in die Welt hinaustragen.

Verliert der Fußball und damit Ihr Verband für lange Zeit an Wichtigkeit?

Nein. Weltweit sind etwa 1,2 Milliarden Menschen direkt oder indirekt mit Fußball beschäftigt. Fußball wird weiterhin ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sein und soziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Aspekte eines Fünftel der Menschheit berühren. Was ich sagen will: Entscheidungen der Fifa haben eine enorme Reichweite.

Reichweite ist nicht gleich Tragweite.

Sie haben Recht, wenn wir über das Spiel Fußball reden. Es wird keinen Arbeitsplatz schaffen, wenn wir die Regeln ändern, und einem Hungernden Brot geben wird es auch nicht. Aber das ist ja nur die eine Seite des Fußballs, der emotionale Aspekt. Der andere ist unsere sozialpolitische Verantwortung, wir sind verbunden mit der Unesco, mit Unicef, den SOS-Kinderdörfern und der Welt-Gesundheitsorganisation WHO, das ist eine globale Verantwortung. Ich bin mir dieser Verantwortung bewusst.

Sie vielleicht. Der europäische Dachverband Uefa war sich seiner Bedeutung aber wohl eher nicht bewusst, als er am Abend des Terroranschlages auf New York fröhlich Champions League spielen ließ.

Die Uefa hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Nach Rücksprache mit mir entschied man sich, an jenem Abend zu spielen, und die Fifa unterstützt diesen Entscheid aus oben genannten Gründen.

Nicht nur wegen dieses Abends hat man den Eindruck, dass im Fußball dem wirtschaftlichen Aspekt Priorität eingeräumt wird.

Da widerspreche ich. Wenn wir die Regeln ändern ...

dann geschieht das, zum Beispiel bei den Überlegungen, Auszeiten einzuführen, im Interesse der werbetreibenden Industrie.

Wir haben 1995 einen Versuch mit Auszeiten gemacht. Das wollten die Trainer, aber es funktionierte nicht, weil die Distanzen, die die Spieler auf dem Weg zum Trainer zurücklegen müssen, zu groß sind. Aber was Werbeeinblendungen angeht, da ist auch ohne Auszeiten viel Spielraum. Ich habe gerade erst in Thailand gesehen, was möglich ist. Dort wird bei Spielunterbrechungen das Bild verkleinert und auf drei Viertel des Bildschirmes wird Werbung gemacht. Wenn man bedenkt, dass ein Fußballspiel vielleicht 60 Minuten reine Spielzeit hat und 30 Minuten mit dem Bau einer Mauer, mit der Behandlung eines verletzten Spielers oder Ähnlichem vergehen, dann braucht man keine Auszeiten, um Werbung einzuspeisen. Wir haben ja nichts gegen Investoren, sie sind willkommen, die Regeln müssen wir deshalb nicht verändern.

Aber Sie müssen zur Befriedigung wirtschaftlicher Interessen Ihre Prinzipien aufgeben.

Aha, jetzt geht es um die Weltmeisterschaftsvergabe 2006 nach Deutschland ...

eben ...

Ja, ich verhehle mein Bedauern nicht darüber, dass Afrika unberücksichtigt blieb. Welch ein Zeichen hätte man setzen können! Afrika, das dem Fußball so viel gegeben hat, hätte durch eine WM einen Aufschwung erleben können. Der Kontinent hätte endlich das Gefühl gehabt, voll genommen zu werden und sich nicht mehr wie in der Kolonialzeit fühlen zu müssen oder nur als Lieferant guter Fußballer zu gelten. Bei dieser Wahl hat die Solidarität der Welt verloren. Allerdings hat die Demokratie gewonnen.

Ein großes Wort für eine Wahl, auf der der Ruf der Mauschelei lastet.

Die Entscheidung für Deutschland fiel in einer geheimen und von zwei Amtspersonen überwachten Wahl. Ich kann keine Mauschelei entdecken, besser, demokratischer und transparenter kann man eine Wahl nicht durchführen. Dass meine Priorität sich nicht hat durchsetzen können, hat mich zwar enttäuscht, aber als Präsident der Fifa muss ich auch sagen, dass ich froh bin, dass wir die WM 2006 in einem Land durchführen können, welches uns die Gewähr gibt, dass es eine gute Weltmeisterschaft wird.

Wozu Sie zunächst mal ein Gespräch mit der Bayer AG führen müssten. Die ist nicht ohne Einfluss im deutschen Fußball und würde gerne das Leverkusener Stadion als Austragungsort sehen. Nur ist es mit einem Fassungsvermögen von 22 500 Zuschauern zu klein für die Fifa-Vorgaben.

Da muss ich kein Gespräch führen. Sie sagen ja, dass die Mindestkapazität von 40 000 Zuschauern eine Vorgabe ist und keine Regel. Und diese Vorgabe ist ein alter Zopf. Schon bei der WM in Frankreich wurde sie nicht erfüllt, wenn Sie all die VIP-Karten und Tickets für die Presse abziehen. Aber die Spielorte sind noch lange nicht ausgewählt.

Flexibilität gehört zu Ihrem Job?

Unbedingt.

Deutschland war auch sehr flexibel und hat diese WM mit all seiner Macht und auf nicht ganz sauberem Wege ins Land geholt.

Ich weiß nicht, wovon Sie reden.

Von den Rechercheergebnissen, die die beiden Münchner Journalisten Thomas Kistner und Ludger Schulze in ihrem Buch "Die Spielmacher" vorgestellt haben.

Das sind Phantastereien ...

Daimler, Bayer, BASF und Siemens haben in den letzten zehn Tagen vor der Wahl noch rasch in Thailand und Südkorea Investitionen im Umfang von drei bis vier Milliarden Mark angekündigt - die Stimmen Thailands und Südkoreas brauchten die Deutschen noch.

Also ich weiß nicht, ob die wirtschaftlichen Interessen der stimmberechtigten Länder eine große Rolle bei der Vergabe gespielt haben. Was soll das auch bewirken, alle Werbe- und Fernsehverträge wurden 1996 und 1997 abgeschlossen, also zu einem Zeitpunkt, an dem man noch gar nicht wusste, wohin man mit dem Weltcup 2006 geht.

Dann ist es also auch keine Beeinflussung des saudi-arabischen Delegierten, dass die deutsche Regierung eine Woche vor Abstimmung die Auslieferung von 1200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien bewilligte?

Vielleicht wollte der saudi-arabische Kollege im Jahre 2006 lieber vier Wochen in Deutschand verbringen als vier Wochen in Südafrika oder in Marokko. Ich habe ja gesagt, dass bei dieser Wahl das Solidaritätsprinzip, von dem immer geredet wird, nicht angewendet wurde. Ich sage es noch einmal, Afrika hätte es verdient. Eine Fußball-Weltmeisterschaft bietet eine nationale Identifikation, schafft Infrastrukturen und Werbeeffekte.

Unter diesen Vorgaben wurde das Solidaritätsprinzip schon 1994 verletzt, als die WM in den USA gespielt wurde, in einem Land, das keine nationale Identifikation mehr suchen muss, das über Infrastruktur verfügt und Werbeefekte nicht nötig hat.

Halt, dafür gab es einen großen, anderen Grund. Das ist die Entwicklung des Fußballs in einem Land, in dem dieser Sport noch nicht recht Fuß gefasst hat. Heute sind dort 18 Millionen Fußballspieler registriert, wovon acht Millionen Frauen sind. Früher wurde in den USA auf allen Wiesen Baseball gespielt, heute sehen Sie, dass gekickt wird.

Eine Fußballkultur gibt es dort dennoch nicht.

Das ist wohl richtig, und verstehen tue ich das nicht. Ausgerechnet Amerika mit diesem liberalen System müsste doch wissen, dass ein Potenzial von 18 Millionen registrierten Fußballern plus den dazugehörigen Familienangehörigen einen riesigen Einkaufsmarkt bilden. Außerdem, wer spielt in den Staaten Fußball? Es kommen jetzt schon einige Schwarze hinzu, aber sonst ist der Fußball in Amerika der Sport der Mittelklasse, und die Mittelklasse gibt das Geld aus, nicht die Reichen, sonst wären sie nicht reich, und die Armen haben kein Geld.

Mit Verlaub, Sie wechseln die Vergabekriterien anscheinend wahllos. Mal spricht der Aufbau von Infrastruktur für Afrika, mal die Öffnung des Fußballmarktes für die USA. Was sprach im Jahr 1998 für Frankreich?

Dass Europa mal wieder dran war.

Aha, deshalb 2006 in Deutschland. Und im nächsten Jahr ist Asien dran?

Ja, und das war eine schwierige Entscheidung. Als das Exekutiv-Komitee der Fifa sie 1996 traf, boomte in Japan die erste Profiliga, in Korea wurde schon lange, wenn auch auf etwas niedrigerem Niveau, in festen Strukturen gespielt. Und damit niemand das Gesicht verliert, hat das damalige Exekutiv-Komitee erstmals das Turnier in zwei Staaten vergeben. Was dabei rauskommt, werden wir am Ende sehen. Ich denke, es wird eine sehr schöne, aber auch sehr teure Weltmeisterschaft werden. Beide Länder überschlagen sich mit Investitionen, um zu zeigen, wie groß sie sind und wie gut. Es wird in 20 Städten gespielt, wir haben zwei internationale Medienzentren, wir brauchen einen enormen Aufwand für logistische und technische Organisation. Das alles kostet sehr, sehr viel Geld.

Werden nicht allein durch die Dimension einer heutigen Weltmeisterschaft kleinere Länder, wie etwa Marokko, von einer Organisation ausgeschlossen?

Nein, wir haben das analysiert, Marokko war Kandidat für 24 und dann für 32 Teams. Beides hätte das Land gut bewerkstelligen können. 16 ist logistisch sicherlich die bessere Zahl für eine Endrunde, aber wir haben 204 Nationalverbände, und wenn davon etwa 30 an der Endrunde teinehmen, das ist mal gerade ein Siebtel. Es gibt Leute mit Überlegungen, die Teilnehmerzahl zu reduzieren, aber bis 2006 ist jetzt erst mal alles festgelegt. Und dann können sich die zuständigen Gremien mit der Frage auseinander setzen, ob der Status Quo belassen werden soll, ob man interkontinentale Ausscheidungen will, keine WM-Qualifikationen mehr oder ob man spielen will, wie in Tennisturnieren: Du kommst, spielst, gehst eine Runde weiter oder gehst nach Hause.

Wie bitte? Ein K.-o.-System bei der Weltmeisterschaft. Da werden sich die großen Fußballnationen mit ihren Geldgebern und deren wirtschaftlichen Interessen aber freuen. Zum Beispiel Deutschland, wenn es im ersten Spiel der WM gegen eine über sich hinaus wachsende Elf aus, sagen wir, Aserbaidschan ausscheidet.

Es ist doch in jedem Wettbewerb mit reinem Pokalcharakter so, dass sich am Ende die großen Teams durchsetzen. Das ist die gerechteste Variante und die reizvollste. Und wenn es keinen Sieger gibt, dann darf es kein Elfmeterschießen geben, weil das nur im Fernsehen eine Dramatik hat, sondern der Sieger muss durch Golden Goal ermittelt werden.

Sie scherzen, wie damals, als Sie vorschlugen, die Tore zu vergrößern.

Das war wirklich ein Scherz, ich hätte auch sagen können, wir erlauben nur noch kleine Torhüter. Aber ich wurde ernst genommen und mir wurde vorgehalten, ich sei verbunden mit der Aluminiumindustrie.

Und, sind Sie?

Sie werden lachen, mein Bruder arbeitete damals tatsächlich für eine Aluminiumfabrik.

Herr Blatter[in acht Monaten beginnen in Süd]

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