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Henin

© ddp

Justine Henin: Aus einem Star wird eine Frau

Justine Henin beendet ihre Tennis-Karriere – es ist auch die Geschichte eines Rollenwandels der Weltranglisten-Ersten.

Alles wirkte so hart in diesem schmalen Gesicht. Die weichen Züge um den Mund, um die Augen fehlten. Manchmal gingen die Blicke zu den Zuhörern, aber diese Blicke fixierten niemanden. Justine Henin hatte sich in sich zurückgezogen, sie saß bei der Pressekonferenz der German Open, weil sie dort sitzen musste, weil sie erklären sollte, warum sie, die Weltranglisten-Erste des Frauen-Tennis, im Achtelfinale in Berlin gescheitert war. Henin erklärte nichts, nicht mal Stichworte, die ihr einer zuwarf wie Rettungsringe, griff sie dankbar auf. „Waren sie verletzt?“, fragte ein Reporter, als hoffte er auf ein „Ja“. „Nein, sagte Henin knapp. Nur einmal, ganz kurz, löste sie sich aus ihrer Starre. „Ich hoffe auf die French Open“, sagte die Belgierin, und leicht zuckten ihre Mundwinkel nach oben. Die French Open sind ihr Turnier, es beginnt am 26. Mai. „In Paris bin ich voller Emotionen“, hat sie mal gesagt. Vier Mal hatte sie dort gewonnen.

Aber die French Open sind jetzt nicht mehr ihr Turnier. Berlin vor ein paar Tagen war die Abschiedsvorstellung der Justine Henin. Die 25-Jährige beendet ihre Karriere, sofort. Das erklärte sie gestern in Limelette südlich von Brüssel.

Sie tritt ab als Weltranglisten-Erste. Aber dieser Status war zuletzt nur noch eine Hülle, wirklich gelebt hatte sie diese Rolle nicht mehr. Bei den Australian Open im Viertelfinale scheiterte sie an Maria Scharapowa, in Miami wurde sie im Viertelfinale von Serena Williams 2:6,0:6 gedemütigt. Danach flüchtete sie vier Wochen vor dem Tenniszirkus.

Das alles kann passieren, es ist Teil des Sports. Aber bei Justine Henin war nichts Routine. Justine Henin wirkt wie ein Star, der sich selber ein Denkmal setzt, und danach zuschaut, wie es dramatisch zusammenbröckelt. Zwischen der maskenstarren Henin und der glanzvollen Henin liegen gerade ein paar Monate. 2007 gewann sie zehn Titel, zwei davon bei Grand-Slam-Turnieren, sie feierte 25 Siege in Folge, sie kassierte das höchste Preisgeld, das je eine Frau eingespielt hat: fünf Millionen Dollar in einem Jahr. Das erfolgreichste Jahr, das sie je als Profi hatte. „Sie ist der Federer auf der Damen-Tour“, sagte die Tennis-Legende Martina Navratilova.

Aber schon damals musste etwas passiert sein. Justine Henin hatte 2007 funktioniert, wie sie immer funktioniert hatte, mit dieser roboterartigen Perfektion, mit der sie schon 2006 in allen Finals der Grand-Slam-Turniere stand (und Paris gewann) und mit der sie 2004 Olympiasiegerin wurde, mit der sie insgesamt 41 Einzel-Titel und sieben Grand-Slam-Turniere gewann. Doch der Mensch Henin hatte offenbar zu viel erlebt, um mit dem Sport verbissen alles verdrängen zu können, positives und negatives. Das Gefühl, wieder mit ihrer Familie versöhnt zu sein, war das Positive. Ihren Bruder David nach einem Unfall auf der Intensivstation liegen zu sehen, war ein Schock, das sagte sie selber. Die Gedanken, an die Mutter, die an Darmkrebs starb, die Angst, selber zu erkranken, ihre Trennung, das waren die negativen Punkte. Nach der Scheidung hatte sie sich einige Zeit von der Tour zurückgezogen. Sie kam glanzvoll wieder.

In Berlin redete sie über ihre Zukunft, über ihre Erwartungen, über ihre Zweifel. Der Mensch Henin trat hinter dem Profi hervor. „Ich muss doch auch als Frau existieren“, sagte sie. Wenn sie nicht mehr spiele, „gibt es nur noch mich, und darauf möchte ich vorbereitet sein“. Studieren wäre eine Möglichkeit. „Aber dazu müsste ich das Abitur nachholen.“ In Berlin fiel auf, dass sie überhaupt über so etwas redete. Früher war Henin die verschlossene Frau, die sich nicht vereinnahmen lassen wollte. Die Fans wünschten Emotionen, sie betrachtete Erfolge als passende Antwort. Jetzt machte Henin den Eindruck, als hätte sie 2007 nochmal mit einem gewaltigen Kraftakt alles in den Sport investiert. Nun, 2008, wirkt sie ausgelaugt, einfach leer.

Wie lange sie brauchen wird, um diesen Rücktritt zu verarbeiten, weiß niemand. Aber wer sie in Berlin erlebt hat, der kann sich vorstellen, dass sie froh ist, wenn alles vorüber ist.

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