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Sport: Kämpfer aus Familientradition Die perfekte Sprungbalance

Im Tor der Füchse überragt derzeit Petr Stochl und nicht der gefeierte Neuzugang Silvio Heinevetter Vor der Vierschanzentournee suchen die Deutschen das richtige Verhältnis zwischen Gewicht und Kraft – die Österreicher haben es schon gefunden

Berlin - Ab und zu klatschte er ein wenig, in der Regel aber warf er Petr Stochl relativ gelassen das Handtuch zu und reichte ihm auch mal die Wasserflasche. Ansonsten befand sich Silvio Heinevetter beim Spiel der Füchse gegen den VfL Gummersbach in der Rolle des Bankdrückers. Es war keine leichte Situation für den deutschen Nationaltorhüter, der auch im Aufgebot von Bundestrainer Heiner Brand für die EM im Januar in Österreich steht. Denn je mehr sich Stochl beim 30:24 vor den 8826 Zuschauern in der Schmeling-Halle in eine Weltklasseform steigerte, desto geringer wurden Heinevetters Chancen auf einen Einsatz. Bei einem Siebenmeter durfte er dann ran, mehr nicht. „Silvio ist etwas die Leichtigkeit abhanden gekommen, da muss er sich wieder herauskämpfen“, sagt Füchse-Manager Bob Hanning. Das Gewohnheitsrecht aus den Zeiten in Magdeburg, die Nummer eins zu sein, sei in Berlin nun aufgehoben.

Hanning hofft, dass Heinevetter diese Situation bewältigt und zu alter Stärke zurückfindet. „Wir brauchen zwei Torhüter, die sich ergänzen“, sagt er, „aber bisher sind entweder beide gut oder beide schwach.“ Hanning setzt für die Zukunft auf ein Torhüterduell auf hohem Niveau, das „alle anderen Spieler mitreißt“. Zu Saisonbeginn war es Petr Stochl, der 33-jährige Tscheche aus Plzen, der sich in der Position des Herausforderers gegenüber Heinevetter befand. „Es ist schon ein gutes Gefühl, vom Trainer in der Anfangsformation aufgestellt zu werden“, sagt er, „als das nicht der Fall war, habe ich mir darüber schon so meine Gedanken gemacht.“ Am liebsten sei ihm das natürlich vor den tollen Fans in eigener Halle, wie zuletzt gegen die Rhein-Neckar Löwen und eben gegen Gummersbach. Stochl betont, er habe schon seine eigene Meinung zu den Entscheidungen des Trainers gehabt, schließlich könne er seine Leistungen im Training und im Spiel sehr gut einschätzen. Er stamme schließlich aus einer Familie, in der schon der Opa im Fußball und der Vater im Eishockey im Tor standen, und diese Tradition verpflichte eben dazu, sich durchzubeißen. „Ich kämpfe, was kann ich auch mehr tun?“, fragt er.

Wer jedoch wegen der momentanen Torhüter-Einstufung einen aufkommenden Zwist zwischen Stochl und Heinevetter erwartet, irrt. „Wir sind Profis, da kämpft jeder um seine Position. Dennoch kommen wir miteinander klar“, sagt Silvio Heinevetter, während Petr Stochl in diesem Zusammenhang an eine Szene nach dem Gummersbach-Spiel erinnert: „Natürlich hat mir Silvio gratuliert, hast ein gutes Spiel gemacht, hat er gesagt.“

Auch Trainer Dagur Sigurdsson hat keine Zweifel, dass die Konkurrenz seiner Torhüter beiden hilft. In Dormagen hatte er zunächst Heinevetter aufgeboten, aber bei der blamablen Niederlage gab es die von Bob Hanning beschriebene Negativsituation: Beide Torhüter waren schlecht. „Silvio hängt sich aber im Training voll rein, Stochl ist dennoch derzeit besser drauf“, sagt der Isländer zu seiner Wahl gegen Gummersbach und ergänzt mit Blick auf das nächste Spiel gegen GWD Minden am Mittwoch (20.15 Uhr, Schmeling-Halle): „Ich mache mir keine Sorgen. Ich bin froh, dass ich beide habe.“

Das Erfolgsgeheimnis der österreichischen Skispringer könnte Harald Pernitsch heißen. „Der Mann ist nicht so bekannt“, sagt Werner Schuster, der deutscher Bundestrainer ist, aber aus Österreich stammt und daher jenen Harald Pernitsch aus Innsbruck gut kennt. „Er ist der Beste“, sagt Schuster im Kurhaus Oberstdorf, „vielleicht sollten wir ihn kaufen.“ Was nicht ganz ernst gemeint ist. „Aber erzählen Sie das nicht weiter“, ermahnt der deutsche Bundestrainer die Zuhörer, „sonst bekommt er noch eine Gehaltserhöhung.“

Harald Pernitsch ist sportwissenschaftlicher Berater der österreichischen Skispringer und als solcher mitverantwortlich, dass der Gesamtsieg bei der am Dienstag in Oberstdorf (16.30 Uhr, live in der ARD) beginnenden Vierschanzentournee nur über die Österreicher führt. In Gregor Schlierenzauer, Andreas Kofler, Thomas Morgenstern und Vorjahressieger Wolfgang Loitzl gehören vier der sechs gegenwärtig besten Springer im Weltcup zum österreichischen Team. Was aber kann Harald Pernitsch so gut?

Er kann die richtige Balance zwischen Hungern und Krafttraining finden. Oder wie es Werner Schuster ausdrückt: „Die Österreicher haben über Jahre mit Ausnahmekönnern ein System gefunden, das das Paket ,Körpergewicht und Sprungkraft‘ für den Einzelnen sehr gut optimiert.“ Im deutschen Skispringen lag das sportwissenschaftliche Gebiet über Jahre brach, in den Erfolgsjahren mit dem Dauersieger Sven Hannawald hatte man es vernachlässigt. „Jetzt haben wir es wieder reloaded“, sagt Werner Schuster, der an der Universität Innsbruck Sport und Psychologie studiert hat.

Der zwischenzeitliche Mangel an sportwissenschaftlicher Begleitung dürfte aber nicht der entscheidende Grund sein, warum wohl kein deutscher Springer die Vierschanzentournee in dieser Saison gewinnen wird. Der 18 Jahre alte Pascal Bodmer hat als bisher bester Deutscher im Weltcup Außenseiterchancen, Michael Uhrmann und vor allem Martin Schmitt versuchen an die Leistungen der vergangenen Saison anzuknüpfen. Am Beispiel Martin Schmitt aber zeigt sich, wie schwierig es ist, die richtige Abstimmung zwischen Kraft und Gewicht zu finden. Wie kann er sich weiter verbessern?, habe man sich nach der vergangenen, guten Saison gedacht, erklärt der Bundestrainer, „technisch und fliegerisch macht ihm keiner etwas vor, also musste er etwas tun, um körperlich am äußersten Zustand sein“. Im äußersten Zustand heißt bei den Skispringern, möglichst nah am Body-Mass-Index von 18,5 zu sein. Dieser verrechnet das Körpergewicht mit der Körperhöhe und soll verhindern, dass sich die Springer zu ungesunden Werten hungern. Denn nach wie vor gilt im Skispringen die Grundregel: Leicht fliegt weiter. Doch Martin Schmitt hatte im Sommer offenbar zu viel gehungert.

„Er ist in ein körperliches Loch gefallen“, berichtet Werner Schuster, „wir mussten die gesamte Trainingsplanung umstellen.“ Inzwischen sei alles wieder in Ordnung. „Ich fühle mich körperlich sehr gut“, sagt Martin Schmitt. Doch er hat in der Vorbereitung wichtige Zeit verloren, der Bundestrainer meint: „Das hinterlässt Spuren.“

Nur wenige Springer wie der Schweizer Simon Ammann, der mit Schlierenzauer großer Favorit auf den Gesamtsieg ist, haben von Natur aus kaum Schwierigkeiten, einen Body-Mass-Index von 18,5 zu halten. „Ein großer Prozentsatz an Sportlern muss über Jahre ans Limit gehen, um an die Grenze zu kommen“, sagt Werner Schuster. Er begrüßt es daher, dass im kommenden Jahr der Body-Mass- Index auf 20,5 angehoben und zugleich die maximale Länge der Ski auf 145 Prozent der Körperhöhe beschränkt wird. Dann wartet wieder die Aufgabe, das richtige Verhältnis zwischen Körpergewicht und Krafttraining auszutüfteln.

Die deutschen Springer werden inzwischen wieder von einer Wissenschaftskommission unterstützt, auch der neue Mannschaftsarzt Mark Dorfmüller kommt vom Boxen und kennt sich daher mit dem Thema Gewichtsreduzierung sehr gut aus. Ob das aber auf absehbare Zeit reichen wird, die Österreicher von der Spitze zu verdrängen? Der Bundestrainer ist skeptisch. „Es sieht nicht so aus, als ob das österreichische System schwächelt“, sagt er. Und Harald Pernitsch arbeitet ja auch noch dort.

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