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Oli Kahn

© dpa

Kahn tritt ab: Gefeiert, verhöhnt, gefürchtet

Am heutigen Samstag tritt einer der besten Torhüter der Welt von der Fußballbühne ab. Oliver Kahn bestreitet dann sein 557. und letztes Bundesligaspiel. Der "Titan" oder auch "King Kahn", wie ihn oft die Boulevard-Presse bezeichnet, hat in seiner beispiellose Karriere polarisiert wie kaum ein Zweiter. Er hat mit dem FC Bayern München fast alles erreicht, ist aber auch mehrmals hart und tief gefallen.

Dass ihn beim Abschied die Tränen übermannen werden, glaubt er nicht. Und wenn es doch so sein sollte, wäre es dem oft so unnahbar und aggressiv wirkenden Torwart egal. "Wenn ich weinen muss, dann weine ich. Aber ich verspüre momentan weniger Wehmut oder Trauer als eine Art Aufregung, diesen Lebensabschnitt zu beenden", sagte Kahn im "SZ-Magazin".

Zur Person

Oliver Kahn wurde am 15. Juni 1969 in Karlsruher geboren. Sein erste Bundesligaspiel bestritt er am 27. November 1987. Im Jahr 1994 wechselte er als "Deutschlands Torhüter des Jahres" zum FC Bayern München. Mit dem deutschen Rekordmeister gewann er 2001 die Champions League und 1996 den Uefa-Cup. Mit den Bayern feierte er acht deutsche Meisterschaften und sechs DFB-Pokalsiege. Er wurde dreimal zum besten Torhüter der Welt gewählt. Kahn bestreitet am Samstag sein 557 Bundesligaspiel. Für die deutsche Nationalmannschaft stand er 84 Mal im Tor.

Der Start in ein hoffnungsvolles Fußballerleben fiel für Kahn ernüchternd aus. Am 27. November 1987 bestritt er im Tor des Karlsruher SC sein erstes Bundesligaspiel und kassierte gleich vier Gegentore bei der 0:4-Niederlage in Köln. Richtig ins Rollen kam seine Karriere allerdings erst drei Jahre später – ebenfalls im November. Der KSC spielte gegen den VfL Bochum. Stammtorhüter Alexander Famulla patzte in der ersten Hälfte gleich zweimal. Trainer Winfried Schäfer wechselte daraufhin nach der Pause den 21-jährigen Kahn ein. Der zeigte keine Schwächen, gewann mit Karlsruhe die Partie und war fortan die Nummer eins im Tor der Badener.

Eifer, Ehrgeiz und eiserner Wille

Kahn hatte seine Konkurrenten Famulla und Stefan Wimmer, der Sohn der KSC-Torhüterlegende Rudi Wimmer, hinter sich gelassen. Wimmer erzählte die oft überlieferte Geschichte, Famulla hätte sich nie mit Kahn auf ein Zimmer gelegt, aus Angst, dieser könnte ihm nachts ein Kissen auf das Gesicht drücken. Wie auch immer, schon damals zeigte der später zum dreifachen Welttorhüter aufsteigende Kahn seine Lieblingseigenschaften: Eifer, Ehrgeiz und eisernen Willen. "Ich hatte nie mehr einen so besessenen Spieler", urteilt der damalige KSC-Amateure-Trainer Rainer Ulrich. Und Ede Becker, zu jener Zeit Co-Trainer in Karlsruher und aktueller Cheftrainer spürte "bei Oliver von Anfang an diesen unbedingten Willen und Ehrgeiz, sich zu verbessern und etwas zu erreichen."

Das musste auch Vater Rolf Kahn am eigenen Leib erfahren. Sein Sohnemann machte mit seinen unzähligen Sonderschichten selbst am Sonntag nicht vor ihm halt. Er warf ihn frühmorgens aus dem Bett, um ihn bei Wind und Wetter auf den Fußballplatz zu zerren. Auch der Platzwart musste nicht nur einmal für den Jugendspieler Kahn extra das Flutlicht einschalten, damit dieser allein trainieren konnte. Die Botschaft, über den Willen alles zu erreichen, sieht Kahn im Zeitgeist begründet. In den 80er Jahren liefen Filme wie Rocky, Rambo, Scarface oder Wallstreet in den Kinos. "Da glaubten alle an die Geschichte vom Tellerwäscher, der zum Millionär werden könnte. Jeder kann es schaffen, sich nach oben zu arbeiten", erzählt er.

Viele Höhepunkte

Kahn hat es geschafft. Er hat in knapp 18 Jahren, fast alles gewonnen, was es im europäischen Vereinsfußball zu gewinnen gibt: die Champions League samt Weltpokal und den Uefa-Cup. Mit dem FC Bayern München wurde er acht Mal Deutscher Meister und sechs Mal DFB-Pokalsieger. "Ich hatte so viele Höhepunkte, da will ich nichts explizit herausheben", sagte Kahn einmal. Mit der Nationalmannschaft blieb ihm allerdings der große Erfolg verwehrt. Den WM-Titel als Krönung seiner großen Karriere gewann er nie. Bei der Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea brachte er die deutsche Mannschaft mit Glanzparaden am Fließband und nur einem Gegentreffer ins Finale gegen Brasilien.

Dort unterlief ihm allerdings der folgenschwere Fehler beim Distanzschuss von Rivaldo, den er fallen ließ, so dass Ronaldo zum 1:0 für den späteren Weltmeister abstaubte. Am Ende verlor Deutschland 0:2. Das Bild nach dem Schlusspfiff, als der DFB-Torwart traurig und erschöpft am Pfosten sitzt, ist bei den Fußballfans im Gedächtnis haften geblieben. Kahn wurde anschließend aufgrund seiner herausragenden Leistungen zum besten Spieler des Turniers gewählt. Das war die Geburtsstunde des "Titans". Davor und danach hat es wohl nie einen besseren Kahn gegeben.

Negativerlebnisse gehören dazu

Solche Negativerlebnisse wie das WM-Finale oder auch das verlorene Champions-League-Endspiel gegen Manchester United gehören zu Kahns Karriere und sind ihm besonders in Erinnerung geblieben. Wobei er die Niederlage gegen Manchester in Barcelona, als in den letzten Sekunden aus einem 1:0 ein 1:2 wurde, als schlimmer empfindet. "Es war mein erster Kontakt mit einer wirklich bitteren Niederlage. So hatte es mich noch nie getroffen", sagt Kahn.

Sieg in der Champions League 2001: Kahn stemmt die Trophäe in die Höhe. Hoch emotional, aber im positiven Sinne, waren auch die beiden Titelgewinne des FC Bayern im Jahr 2001. Die Münchner überwanden das Manchester-Trauma zwei Jahre zuvor mit dem Sieg im Finale der Champions League gegen den FC Valencia. Die Bayern gewannen 5:4 im Elfmeterschießen und Kahn parierte drei Schüsse der Spanier. Vier Tage zuvor sicherte sich der deutsche Rekordmeister die schon verloren geglaubte deutsche Meisterschaft durch ein 1:1 in Hamburg. Der HSV hatte in der 90. Minute die Führung erzielt, und alle Zuschauer im Stadion und an den TV-Geräten dachten, das war’s.

Tanz mit der Eckfahne

Doch Torhüter Kahn peitschte seine Mitspieler gestenreich nach vorne, er wollte sich nicht mit der Niederlage abfinden. Aus dieser Situation resultiert der Markenzeichen-Spruch: "Weiter, immer weiter." Patrik Anderson traf dann tatsächlich noch zum Remis in der Nachspielzeit. Anschließend rannte Kahn wie vom Affen gebissen zur Eckfahne, riss sie aus dem Boden und legte sich mit ihr wild wedelnd auf den Boden. "Das ergab sich einfach so", erinnert er sich. "Es war pure Emotion. Man rennt über den Platz und kann gar nicht glauben, was soeben passiert ist."

Dass Kahn trotz aller Erfolge bis zuletzt die Massen polarisierte, liegt zum einen an seiner vor allem früher gezeigten verbissenen Art, mit der er sein Spiel betrieb. Zum anderen an seiner aggressiven Körpersprache und seinen legendären Ausrastern. Heiko Herrlich biss er fast in den Hals, Thomas Brdaric wurde in den Würgegriff genommen, Miroslav Klose an der Nase gepackt und Stephane Chapuisat musste sich vor einem wilden Kung-Fu-Sprung in Sicherheit bringen.

"Erfolg zählt für mich mehr, als sympathisch zu wirken"

"Erfolg zählt für mich mehr, als sympathisch zu wirken", hatte er mal in einem ZDF-Interview gesagt. Auf dem Platz habe er den Tunnelblick, der nur auf den Erfolg gerichtet ist. Kahn wurde eine Hass-Liebe von den Fans entgegen gebracht, aber auch Hohn und Spott. Unvergessen bleiben die "Uhuhuh-Rufe" in Anlehung an einen Affen und die vielen Bananen, die in seinen Strafraum segelten. In Freiburg wurde er sogar mal von einem Golfball am Kopf getroffen, den ein Zuschauer aus dem SC-Block geworfen hatte.

Das Bild des übermenschlichen Kahns, der perfekt funktioniert und keine Schwächen zeigt, erhielt allerdings hin und wieder Risse. Und diese Risse brachten ihm Sympathien ein, weil er menschliche Züge zeigte. Bei der WM 2002 zerbrach der Mythos vom Titan durch seine Fehlbarkeit im Endspiel. Dass er nicht nur verbissen und erfolgsorientiert sein kann, bewies er zum Beispiel nach dem 5:4-Sieg im Elfmeterschießen gegen Valencia, als er den weinenden Konkurrenten José Canizares tröstete. Unvergesslich bleibt auch seine Geste gegenüber Jens Lehmann, als er seinem Rivalen im DFB-Tor vor dem Elfmeterschießen im WM-Viertelfinale gegen Argentinien die Hand reicht und viel Glück wünscht.

An Größe gewonnen

Überhaupt gewann Kahn nach seiner WM-Ausbootung im eigenen Land viele Sympathien, weil er in der Niederlage Größe zeigte. Ohne Ärger zu machen, rückte er ins zweite Glied und entschied sich gegen den von vielen Experten erwarteten Rücktritt. "Es geht um etwas Größeres, um die WM im eigenen Land", hatte Kahn damals erklärt und seine eigenen Interessen hinten angestellt.

Wie sein Leben ohne Fußball aussehen soll, weiß er noch nicht genau. "Ich werde das Gefühl, Teil einer Mannschaft zu sein, sehr vermissen", sagte er im "SZ-Magazin" und präzisiert: "Es ist etwas Wunderbares, wenn man mit anderen für ein gemeinsames Ziel kämpft. Das ist die Seele des Sports, ein tolles Gefühl." Zum Teil wird er dieses Gefühl mit seiner zweiten Leidenschaft dem Golf kompensieren können, da will er sich vielleicht der Herrenmannschaft in seinem Klub anschließen. "Es gibt ja auch andere Arten von Mannschaften auf dieser Welt" sagt Kahn. Dem Fernsehteam des ZDF ist er schon beigetreten. Dort ersetzt er Jürgen Klopp als Fußballexperte bei Großereignissen. Den Adrenalinschub vor den Spielen als Profikicker kann dieser Job aber nicht ersetzen.

Matthias Bossaller

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