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Kajak: Wenn keiner mehr hilft

Ronald Rauhe entdeckt bei der EM nach erfolgreichen Jahren im Kajak-Zweier den Reiz des Einers.

Ganz leicht wippten die olympischen Ringe. Ronald Rauhe stand barfuß auf dem Rasen, ein paar Meter vom Steg entfernt, und er fror ein wenig. Über der Kanu-Rennstrecke in Brandenburg an der Havel hingen dunkle Wolken, also bewegte Rauhe seine Füße, um etwas warm zu werden. Und weil er sich die Ringe auf seinen linken Fuß hatte tätowieren lassen, wippten die mit.

Rauhe schwieg in dieser Sekunde, Tim Wieskötter redete. Wieskötter stand neben Rauhe, zusammen hatten sie gerade klar eine Medaille über 200 Meter bei der Europameisterschaft verpasst, also sagte Wieskötter: „Dann muss jetzt eben Ronny am Sonntag auf dem Treppchen stehen.“

Allein muss er dort stehen, jedenfalls wenn er eine Medaille über 500 Meter im Einer gewinnt. Allein im Boot über die olympische 500-Meter-Distanz, an diese Rolle muss sich Ronald Rauhe vom KC Potsdam erst mal gewöhnen. Sieben Jahre lang, zwischen 2001 und 2008, blieb er bei internationalen Höhepunkten – Olympia, WM, EM – mit Wieskötter über 500 Meter ungeschlagen. Der Kajak-Zweier Rauhe/Wieskötter stand für den Glanz des deutschen Kanu-Rennsports. Ausgerechnet im olympischen Finale 2008 aber erlitten sie die erste Niederlage und das Ende ihrer Serie. Und im Frühjahr war Wieskötter wochenlang krank, das Duo war geplatzt. Kurzfristig entschieden sie sich für die 200-Meter-Strecke bei der EM. Für die 500 Meter fehlt Wieskötter noch die Kraft.

Im Frühjahr war klar, dass Rauhe seine olympische Paradestrecke allein fahren muss. Sicher, er hatte viel Erfahrung auf der 200-Meter Strecke, aber die ist nicht olympisch, die zählt wenig. Er hatte Respekt vor den neuen Konkurrenten, aber er hatte nicht genug Respekt. Schließlich war er vielfacher Weltmeister, ein Star der Szene, er würde sie schon ganz gut aufmischen, die anderen. So hatte er sich das gedacht.

Aber dann mischten sie ihn auf. Beim ersten Weltcup der Saison, in Poznan/ Polen, wollte Rauhe mit den Gegnern spielen, er vertraute auf seinen Endspurt. Aber sie spielten mit ihm, Rauhe schlingerte nur als Vorlauf-Vierter über die imaginäre Ziellinie. „Ich habe die Gegner unterschätzt“, gibt Rauhe zu. „Er hat eine fürchterliche Niederlage erlitten“, sagt der Chef-Bundestrainer Reiner Kießler.

Serien-Weltmeister Rauhe hatte zwischenzeitlich die Frequenz reduziert, ein fataler Fehler. Aber das kannte er aus dem Zweier über diese Strecke. „Im Zweier hast du einen Zweiten, der dich schiebt, wenn du mal kurz nicht mehr kannst“, sagt der 27-Jährige, „im Einer aber darf du kein Gas rausnehmen.“ Ausgerechnet sein Rivale Max Hoff aus Köln gewann in Poznan über 500 Meter.

Es dauerte Tage, bis Rauhe über diese Niederlage einigermaßen hinweg war. Und noch länger lebte er in der Ungewissheit: Darf ich bei der EM im Einer über 500 Meter fahren? Kießler schwankte zwischen Hoff und Rauhe. Denn im Weltcup in Szeged fuhr Rauhe stärker, er wurde im Finale Dritter. Dort fehlte Hoff. Nur über 200 Meter, das war Rauhe klar, würde er einen EM-Startplatz haben.

Ein Duell zwischen Hoff und dem Potsdamer Rauhe in Kienbaum musste die Entscheidung bringen. Rauhe gewann mit 1,5 Sekunden Vorsprung.

Aber heute hat er stärkere Konkurrenten als Max Hoff. Leute, die er bewundert. „Einer-Fahrer sind für mich Vorbilder“, sagt Ronald Rauhe. Er meint die Einer-Fahrer, die sich über 500 und 1000 Meter quälen. Er meint ihre Leidensfähigkeit. „Solche Einer-Fahrer sind ganz besonders starke Charaktermenschen“, sagt er.

Trotzdem, er wird wieder umsteigen in den Zweier, zu Wieskötter, wenn der wieder fit ist. Aber er wird nicht ohne Emotionen umsteigen. „Wenn ich bei der EM über 500 Meter gut im Einer fahre, und dann in den Zweier gehe, dann tue ich das mit blutendem Herzen“, sagt Rauhe fast wehmütig.

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