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Sport: Kalt und nichtig

Die Eisschnellläufer kämpfen in Berlin um Mehrkampf-Titel – aber die interessieren kaum

Berlin - Claudia Pechstein war gestern noch beim Arzt. Sie hat Rückenprobleme, und Joachim Franke, ihr Trainer, sagte, dass sie jetzt halt verletzungsanfälliger sei als früher. Pechstein ist schließlich schon 34 Jahre alt, den ersten ihrer fünf Olympiasiege holte die Eisschnellläuferin bereits 1994. Aber sie wird starten, sagte Franke gestern auch noch. Bei den Deutschen Mehrkampf-Meisterschaften in Berlin-Hohenschönhausen (Freitag ab 17.30 Uhr, Samstag ab 12 Uhr) wird sie, die Titelverteidigerin, vor allem Anni Friesinger als Konkurrentin haben.

Andererseits, wenn Pechstein nicht laufen könnte, wäre es auch egal. Für die Mehrkampf-EM ist sie schon nominiert, ihre bisherigen Weltcup-Ergebnisse reichen dafür aus. Und überhaupt, Mehrkampf, der läuft eben so mit. „Ihre Konzentration liegt auf den Einzelstrecken“, sagt Franke. Nicht bloß bei Pechstein. Anni Friesinger legt ja auch Wert auf die Einzelstrecken. Einzeltitel lassen sich vermarkten, sichern Plätze in der Sportförderkompanie, und olympisch sind Mehrkampf-Wettbewerbe auch nicht.

Franke sitzt an einem Tisch in der Eisschnelllaufhalle im Sportforum Hohenschönhausen, er hat die Arme vor der Brust verschränkt, sein Blick wirkt leidend. Mehrkampf, das ist ein nerviges Thema. „Er ist ziemlich langatmig“, sagt der Coach. „Es wäre Zeit, dass man einiges daran ändert.“ Die Damen laufen 500, 1500, 3000 und 5000 Meter, das Ganze zieht sich über zwei Tage, die Männer absolvieren 500, 1500, 5000 und 10 000 Meter, aber das ist nur die Hälfte des Wettbewerbs. Es gibt ja auch noch den Sprint-Vierkampf, Teil der Mehrkampf-Meisterschaften. Da laufen Männer und Frauen jeweils zweimal 500 und 1000 Meter. Für die Zuschauer quälend lange Prozeduren.

„Nicht zeitgemäß“, konstatiert Franke. „So hält man keine Zuschauer.“ Er will Eisschnelllauf attraktiver machen. Der Trainer denkt zum Beispiel an einen Massenstart vor der letzten Disziplin beim Mehrkampf. Dann würden zwölf Athleten, die Besten der Gesamtwertung, gleichzeitig losstürmen. Ein Teamwettbewerb auf den langen Strecken, das wäre doch auch was, sagt Franke. Am liebsten wäre es ihm sowieso, wenn ein Mehrkampf-Wettbewerb gestrichen würde. Die EM zum Beispiel. „Damit hätte ich keine Probleme.“ Dann blieben pro Saison immer noch Weltcup-Rennen, die Einzel-WM, die Mehrkampf-WM und die Sprint-Vierkampf-WM. „Sehr belastend für die Athleten“, sagt Franke.

Mehrkampf-Wettbewerbe standen international vor 20 Jahren schon auf der Kippe, doch die traditionsbewussten Holländer verhindern bis heute ihre Abschaffung. Dabei, sagt Thomas Schubert, Trainer der Sprinterin Jenny Wolf, „ist der Mehrkampf in den meisten Ländern ungeliebt“. Auch Tobias Schneider, die Entdeckung dieser Saison, fühlte sich „lange unwohl beim Mehrkampf“. Erst seit er über 1500 Meter stärker geworden ist, „da mag ich den Mehrkampf“.

Sein Bundestrainer hat sogar schon „als Kind vor dem Fernseher gesessen, als Mehrkampf übertragen wurde“. Schließlich ist Bart Schouten Holländer. 60 000 Zuschauer, sagt er, könnte man in Holland zu einer Mehrkampf-WM locken. „Ich mag den Mehrkampf“, sagt er. Andererseits ist er jetzt beim deutschen Verband angestellt, also unterwirft er sich dessen Regeln. „Unser Fokus“, sagt Schouten, „liegt natürlich auf den Einzel-Wettbewerben.“

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