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Sport: Kaum zu schaffen

Von Robert Hartmann Bochum. Bisher ist es nur eine Befürchtung.

Von Robert Hartmann

Bochum. Bisher ist es nur eine Befürchtung. Doch sie könnte sich schnell bewahrheiten, und die Leichtathletik hätte ein Problem: Ausgerechnet die attraktiven Laufwettbewerbe finden bei den Europameisterschaften nur in Minifeldern statt. Alle Vorläufe im August in München fallen aus. Denn nur eine kleine Elite konnte die Hürden der Qualifikation überspringen. So könnte es kommen – wenn es allein nach den Normen der deutschen Leichtathletik-Funktionäre ginge.

Mittlerweile nimmt die Normen-Wut seltsame Züge an. Hier ein paar Beispiele. 400 Meter der Männer: Die Norm des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) liegt bei 45,50 Sekunden. Geschafft hatten diese bis Mitte der Woche nur fünf Europäer. 5000 Meter: Norm 13:25,00 Minuten. Geschafft von drei Europäern. 800 Meter der Frauen: DLV-Norm 2:00,00 Minuten. Geschafft von vier Europäerinnen.

Die geforderten Maße hatte bis zu den Deutschen Meisterschaften an diesem Wochenende in Bochum-Wattenscheid gerade ein deutsches Quintett erreicht: Ingo Schultz über 400 Meter, Dieter Baumann über 5000 und 10 000 Meter, Mike Fenner über 110 Meter Hürden, Kirsten Bolm über 100 m Hürden und Sonja Oberem im Marathon. Dazu kommt als Zweiter über 3000 Meter Hindernis beim Europapokal der Europameister Damian Kallabis. Befreit von dem Druck, die Norm noch schaffen zu müssen, lief Schultz gestern bei den nationalen Titelkämpfen über 400 Meter die europäische Jahres-Bestzeit von 44,97 Sekunden und zählt bei der EM zu den Titelkandidaten.

Kein Favorit, aber wenigstens Mitläufer wird über 100 Meter Marc Blume sein. Vor 4000 Zuschauern unterbot er in Bochum am Freitag im Vorlauf mit 10,23 Sekunden die EM-Norm, die bei 10,24 liegt. „Das ist eine große Erfüllung, bei der EM Einzel und Staffel laufen zu dürfen“, sagte er.

Zuvor war Heike Meißner eine deutsche Jahresbestzeit über 400 Meter Hürden gelaufen. Als Vorlaufschnellste benötigte die Chemnitzerin 56,04 Sekunden. Doch das reichte nicht, Meißner verpasste die Norm.

Würden die deutschen Normen in ganz Europa gelten, käme nach derzeitigem Stand im Münchner Olympiastadion nur ein Endlauf der besten acht zustande – der über 100 Meter Hürden. In allen anderen Wettbewerben gäbe es nicht genügend Athleten. Statt zwischen dem 6. und 11. August sechs Tage lang Wettbewerbe zu veranstalten, würde ein Nachmittag zur Ermittlung der Meister reichen.

So weit wird es natürlich nicht kommen. Irgendwie dämmerte den deutschen Norm- Festsetzern inzwischen, dass sie die aufstrebenden Jungen etwas gnädiger behandeln sollten. So erfanden sie die „weiche Norm“ für die Unter-25-Jährigen. Oder die „Kindernorm“, wie 800-Meter-Olympiasieger Nils Schumann sie nennt.

Die Versuchung für die Athleten, nicht nur bei normalen Wettbewerben zu starten, sondern auch bei so genannten Norm-Wettkämpfen, war groß. Weitspringer sahen sich nach Veranstaltern um, die ihnen Absprungbalken wie Katapulte anboten und die Chance eröffneten, die Norm doch noch zu erfüllen. Diskuswerfer hielten Ausschau nach Segelwiesen, wo sie größere Weiten erreichen konnten.

Zwischen den Funktionären und den Athleten besteht nicht erst seit der Diskussion um die Normen eine kritische Distanz. Der Hochspringer Wolfgang Kreißig stellte schon früher fest, dass die Normenhatz einen vernünftigen Leistungsaufbau nicht mehr zulasse und die Verletzungsrate außerordentlich erhöhe. Auch sie sei schuld am Rückgang der deutschen Leichtathletik. Haupt-Befürworter der schweren Normen ist der lange im Hintergrund und erst seit Herbst offiziell wirkende Cheftrainer Bernd Schubert aus Chemnitz. Er war der letzte strenge Dirigent der DDR-Leichtathletik.

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