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Sport: Kennst du das Land, wo die Bälle blühen?

Natürlich haben sie die Liste mit den großen Namen in einer der vielen Sportzeitungen abgedruckt. Stefan Hübner hat sie in seinem Haus am Gardasee gelesen.

Natürlich haben sie die Liste mit den großen Namen in einer der vielen Sportzeitungen abgedruckt. Stefan Hübner hat sie in seinem Haus am Gardasee gelesen. Eigentlich hat er sie regelrecht studiert. "Mein Gott, wenn man sieht, wer da alles dabei ist", sagt er.

Stefan Hübner lässt den Satz unvollendet, und deshalb klingt es, als hätte er nichts zu tun mit den großen Namen. Mit den Russen, Amerikanern, Brasilianern, kurzum: den besten ausländischen Spieler der ersten italienischen Volleyball-Liga, der stärksten Liga der Welt. Alle haben sie gestern vereint in einem All-Star-Team der Liga gespielt. Zu diesem Team gehörte noch einer, den Stefan Hübner "einen eher unscheinbaren Spieler" nennt: Stefan Hübner selbst. Denn der Hamburger redet nicht gerne über die eigenen Stärken.

Andere haben mit Hübners Klasse weniger Probleme. "Wenn sie den Stefan nicht geholt hätten, dann wäre ich sauer gewesen", hat Emanuele Zanini gesagt. Zanini ist Cheftrainer von Hübners Verein Bossini Montichiari. Stefan Hübner ist der zweite Deutsche, der in diese erlesene Auswahl aufgenommen wurde. Der Berliner René Hecht spielte 1990 und 1992 in Italien auch schon in einer All-Star-Mannschaft, sogar als Hauptangreifer. Allerdings gab es damals vier Auswahlmannschaften mit ausländischen Spielern.

Stefan Hübner spielt auf einer unscheinbaren Position. Er ist Mittelblocker. Keiner, der auf den Ball schlägt wie ein Schmied auf den Amboss. Aber in dem Job ist er der Beste in Italien.

Gestern Abend spielte das All-Star-Team in Ferrara gegen die italienische Nationalmannschaft. Das jährliche Duell hat Tradition in Italien. Natürlich überträgt das Fernsehen live, die Fans werfen Konfetti und blasen wie verrückt in ihre Tröten. Es ist eine Riesenparty, mit Show und Musik und Programm für Kinder. "Wir haben mal mit der Nationalmannschaft zugeschaut", sagt Hübner, "das war schon ein irres Spektakel." Da saß er noch irgendwo auf der Tribüne, da war er nur der Bundesliga-Spieler Stefan Hübner vom SC Charlottenburg. Nicht ohne Talent, aber halt ein Deutscher. Und die Deutschen besetzen im internationalen Volleyball derzeit hintere Plätze. So ist das schon seit vielen Jahren.

Aber jetzt ist Stefan Hübner da. Er ist mit Montichiari nach neun Siegen in zehn Spielen Tabellenführer. "Stefan ist ein absoluter Profi. Der lebt für Volleyball, der geht auch über Schmerzgrenzen. Für einen Trainer ist er ein Idealfall", sagt Stelian Moculescu, der deutsche Bundestrainer.

Singen und Tanzen mit den Fans

Bis zum Sommer des vergangenen Jahres hat Stefan Hübner noch in der Bundesliga gespielt. Zuletzt in Berlin, beim SC Charlottenburg. Sein Wechsel nach Italien war dann zunächst alles andere als eine große Nummer. Weil die beste Volleyballliga der Welt nicht gerade sehnsüchtig auf einen kaum bekannten Mittelblocker aus Deutschland gewartet hatte, spielte Stefan Hübner zunächst bei Carrilo Loreto in der Zweiten Liga. Doch dann ging auf einmal alles ganz schnell. Hübner spielte gut, so gut, dass Loretos Fans nach dem letzten Heimspiel lauthals sangen, der Deutsche dürfe sie nicht verlassen. Dazu hüpften sie, und nach dem Spiel ging Hübner zu ihnen und sang und hüpfte mit. "Das war schon irre."

Aber Hübner ist Profi, und als Profi will er ganz oben spielen. In der ersten italienischen Liga, und dort, sagt Hübner, "ist einer sofort weg vom Fenster, wenn er sich zurücklehnt und nicht stets hundert Prozent gibt". Er fing in Montichiari bescheiden an, aber sein Trainer hatte Hinweise, dass in dem Deutschen einiges steckt. Emanuele Zanini hatte bei Moculescu nachgefragt, ob Hübner tauglich sei. Moculescu wählte einnen großen Vergleich: "In zwei Monaten ist der so gut wie Geric." Andrija Geric ist ein Star, einer der besten Volleyballer der Welt. In Sydney hat er Jugoslawien zum Olympiasieg geführt, und er hat so lange in Montichiari gespielt, bis ihn der Verein nicht mehr halten konnte. Trainer Zanini suchte Ersatz, verließ sich auf Moculescus Urteil und holte Stefan Hübner, den deutschen Nobody aus der Zweiten Liga.

Kollegen und Zuschauer waren misstrauisch. Ein Deutscher in der besten Liga der Welt? Auch Hübner ahnte nichts von seinem späteren Aufstieg. Vorsichtig tauchte er ein in die große Volleyball-Welt, tastend, aber ehrgeizig und "mit einem unguten Gefühl". Das mit dem unguten Gefühl fand er gut. Es verhindert Zufriedenheit. Als ihm der bulgarische Weltklassespieler Semionow nach dem ersten Spiel für Montichiari auf die Schultern klopfte, wusste er, dass er seinen Einstand nicht verkorkst hatte. Das stärkte sein Selbstvertrauen. "Ich war ja ein No-Name-Spieler."

Volleyball in Italien - das ist eine andere Welt für einen, der zuvor in deutschen Schulsporthallen gespielt hat. Kein Wunder, dass Hübner über die Rahmenbedingungen in Montichiari staunte: zwei Trainer, ein weiterer Coach nur für Krafttraining und für Aquajogging im Schwimmbad, Arzt, Physiotherapeut, Scout, Team Manager, General Manager und auf der Pyramidenspitze der Präsident. Und dann Dehnübungen in einer Reihe, "wie beim Militär". Beim SC Charlottenburg, sagt Hübner, "hatten wir ja nicht mal einen richtigen Kotrainer".

Ein Glas Sekt - mehr ist nicht drin

Jetzt ist er in zehn Saisonspielen nur einmal ausgewechselt worden. Montichiari ist Tabellenführer, zu den Heimspielen kommen 2500 Fans, nicht bloß 1000 wie früher. An dieser Entwicklung ist er maßgeblich beteiligt, aber Stefan Hübner sagt: "Man darf sich nicht einbilden, dass ich mir jetzt einen großen Stellenwert erarbeitet habe." Obwohl er die Nummer eins als Mittelblocker ist? "Der Trainer nimmt das eher zur Kenntnis", sagt Hübner. "Man bekommt dafür keinen Bonus. Wenn man sich hängen lässt, ist man sofort weg." Als er von einem Bekannten aus Friedrichshafen von der Einladung zum All-Star-Spiel erfuhr, stieß er mit einem Sekt an. Mehr war nicht, sagt Hübner. "Keine große Feier oder so was."

Stefan Hübner weiß, wie schnell einer fallen kann bei den italienischen Fans. Im Moment breiten sie Spruchbänder aus mit seinem Namen, sie singen ihn auch, und sie feiern nach der Partie eine Stunde lang mit den Spielern. Aber er hatte auch gehört, wie Fans von Modena Spielern entgegenbrüllten: "Ihr seid die Schande des Vereins." Hübner ist auf so etwas vorbereitet. Er kennt Spieler, die an ihren Illusionen gescheitert sind.

Welche Ziele hat jemand noch nach all diesen Erfolgen? "Bei mir ist in diesem Jahr schon so viel in Erfüllung gegangen, das reicht jetzt erst mal." Ein Aufschwung mit der deutschen Nationalmannschaft wäre ihm jetzt erst einmal lieber.

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