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Sport: Kickstart mit Rollstuhl

China eröffnet auch die Paralympischen Spiele in Peking mit einer gigantischen Show

Um 23.02 Uhr Ortszeit brannte wieder eine Flamme über dem Nationalstadion Peking. 13 Tage nachdem sie feierlich gelöscht worden war, hatte der einbeinige paralympische Hochspringer Hou Bin sie wieder entzündet. Er hatte sich mitsamt seines Rollstuhls an einem Seil emporgezogen, unter großem Jubel der 91 000 Zuschauer flammte die überdimensionale Fackel wieder auf. Sie zeigte den Zuschauern: Die Olympischen Spiele sind noch nicht ganz vorbei, es folgen ab heute bis zum 17. September die Paralympischen Spiele der körperlich Behinderten.

Chinesische Zuschauer, die schon die Eröffnungs- und Schlussfeiern der Olympischen Spiele erleben durften, hatten gestern Abend ein Déjà-vu. Wieder hatten die Soldaten am Vogelneststadion ihre Ausgehuniform angezogen, wieder knatterte ein Fernsehhubschrauber über dem zunächst blau leuchtenden Stadion, wieder zählten Leuchtraketen die letzten zehn Ziffern herunter. Als die dreistündige Eröffnungsfeier der Paralympischen Spiele begann, war allerdings schnell klar: Eine Wiederholung der Olympischen Eröffnungsfeier sollte es doch nicht geben.

So zogen die 4000 Athleten aus 147 Ländern bereits nach dem ersten Showteil ins Stadion ein. Es war eine besondere Rücksichtnahme für die gehbehinderten Athleten, die nicht die gesamte Zeit außerhalb oder innerhalb des Stadions stehen sollten. Stattdessen konnten sie nach dem Einmarsch in den unteren Rängen Platz nehmen, wo ihnen Sitzplätze freigehalten worden waren. Die Rollstuhlfahrer hingegen konnten im Innenraum bleiben.

Beim Einzug erhielten China und seine Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao den größten Beifall, auch bei Taiwan war der Jubel groß. Als die Delegation unter dem Namen „Chinese Taipeh“ ins Stadion einzog, blendete die Stadionregie den chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao ein. Ein politisch zu verstehendes Bild, China beansprucht die politisch unabhängige Insel für sich.

Bei der Feier kam es zu einem Zwischenfall. Eine Frau wurde von Sicherheitskräften zu Boden gerissen. Sie soll sich nach Angaben der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua „unanständig“ benommen haben, auf Fotos ist sie mit freiem Oberkörper zu sehen. Ob sie protestiert hatte, blieb bis zum späten Abend unklar.

Aber es gab auch viele herzliche Szenen. So wurden einige Länder neu bei den Paralympics begrüßt: Burundi, Gabun, Georgien und Haiti. Für Osttimor tritt Domingos Sarmento Soares an. Der 29-jährige gelähmte Rollstuhltennisspieler musste sich für die Spiele einen Rollstuhl leihen, da er kein Geld für ein eigenes Sportgerät hat. Zwei Athleten liefen sogar zum zweiten Mal innerhalb von einem Monat ins Stadion. Natalie du Toit hatte bei den Olympischen Spielen die Fahne Südafrikas tragen dürfen, diesmal lief die beinamputierte Schwimmerin in der zweiten Reihe. Auch die einarmige polnische Tischtennisspielerin Natalia Partyka kannte das Erlebnis schon vom 8. August. Neu war, dass einige Rollstuhlfahrer Probleme hatten, auf dem dicken Teppich im Stadioninnern vorwärts zu kommen. Gelegentlich musste ihnen ein Fußgänger helfen. Ein tschechischer Rollstuhlfahrer legte vor Begeisterung mit seinem elektronischen Gefährt einen Kickstart hin. Ein kleinwüchsiger Brasilianer verlieh seiner Freude Ausdruck, indem er seine Gehhilfen in die Luft hielt und auf seinem gesunden Bein unaufhörlich in die Luft hüpfte.

Das deutsche Team, das vor den Augen des Bundespräsidenten Horst Köhler einzog, erntete besonderen Jubel, weil zwei Athleten ihre deutsche Fahne in die Kamera hielten, auf die sie vier chinesische Schriftzeichen gemalt hatten: „Bei jing, ni hao“ – Hallo Peking.

Erst nach dem Einmarsch der Athleten begann die erneut beeindruckende Show, für die Chinas Starregisseur Zhang Yimou wieder verantwortlich zeichnete. Erneut zeigte er seine Vorliebe für Masseninszenierungen. Die Darbietungen standen unter der Idee: „Jedes Leben hat einen Wert, jedes Leben hat Würde, jedes Leben hat einen Traum.“ So tanzte ein Kind bei der „Reise durch die Zeit“ im Rollstuhl Ballett. Die einstige Ballettschülerin hatte beim Erdbeben in Sichuan im Mai das linke Bein verloren. Ihren Traum, eine Tänzerin zu sein, hat sie nicht verloren.

Liu Qi, Präsident des Pekinger Olympischen Komitees sagte: „Es ist unsere Hoffnung, dass die Pekinger Paralympischen Spiele sich zu einer zauberhaften Veranstaltung entwickeln, voller Hoffnung, Freundschaft, Träume und Erfolg.“ Letzteres dürfte kaum zu bezweifeln sein – noch nie hat ein Veranstalter diese Spiele so ernst genommen wie China. „Ich kann noch nicht erklären, dass dies die besten Paralympics aller Zeiten sind“, hatte Philip Craven, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, am Morgen gesagt, „die Spiele haben ja noch nicht angefangen.“ In zehn Tagen aber wird er es sagen dürfen.Leitartikel: Seite 1

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