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Sport: Kleine große Hoffnung

Fabian Hambüchen misst nur 150 Zentimeter – und siegt bei der WM-Qualifikation der Turner

Heilbronn. Die große Hoffnung des deutschen Männerturnens ist klein. Ziemlich klein sogar. Genau 1 Meter 50. Und 44,5 Kilo schwer. Ein Bübchen auf den ersten Blick. Aber was für eins: Bei den deutschen Meisterschaften in Heilbronn gewann Fabian Hambüchen den ersten Qualifikationswettkampf für die Weltmeisterschaft. Die findet Mitte August in Anaheim/USA statt. Und wenn die deutschen Turner dort nicht mindestens den zwölften Platz schaffen, wird ihnen das Ticket für die Olympischen Spiele ein Jahr später in Athen verweigert. Was eine ziemliche Katastrophe wäre für eine Sportart, die ein Turnvater namens Jahn vor fast 200 Jahren in Deutschland erfunden hat.

Und jetzt kommt dieser 15-Jährige aus Wetzlar und mischt gleich bei seinem ersten wichtigen Wettkampf die gesamte Elite auf. Ein Schock war es nicht in Heilbronn. Eher ein Aufatmen. So schlecht steht es also gar nicht ums deutsche Kunstturnen. Auch wenn die erwachsenen Athleten bei ihren risikoreichen Übungen kaum einmal eine gute Figur machten. Mit Ausnahme der zuletzt verletzten Stephan Zapf, Thomas Andergassen (beide Stuttgart) und Dimitri Nonin (Berlin), die auf den Plätzen folgten. „All die Profis sollten sich mal überlegen, was da los ist, wenn sie von einem 15-Jährigen weggeturnt werden“, sagte Bundestrainer Klaus Nigl. Harte Worte, die zugleich Respekt ausdrückten. Respekt vor dem, was Vater und Sohn Hambüchen in den vergangenen Jahren dort in Wetzlar geschafft haben.

Wolfgang Hambüchen passt ebenso wenig ins Klischee eines Turntrainers wie sein Sohn Fabian ins Größenraster der Turner. Der 48-Jährige trägt Birkenstocks und ein schwarzes Rolling-Stones-T-Shirt, auf dessen Vorderseite eine rausgestreckte Zunge prangt. Man könnte es symbolisch deuten: Euch zeigen wir’s! Der Auftritt Hambüchens ist aber keineswegs provokant, allenfalls bestimmt. Der Mann weiß, was er will. Und was er geleistet hat. Das Geheimnis des Erfolgs? „Wir trainieren gut, mit Köpfchen“, sagt er. Den akrobatischen Grundlagenbereich haben sie „exzessiv“ vorbereitet in Wetzlar. Mehr Salti, mehr Schrauben als alle anderen. „Andere haben sich zu sehr an bestehenden Strukturen orientiert“, sagt Vater Hambüchen.

Er nicht. Der Diplomsportlehrer, als Landestrainer beim hessischen Verband beschäftigt, reiste in der Gegend herum – mit offenen Ohren und offenen Augen. Immer auf der Suche nach Experten, die wie er die „Akrobatisierung“ der Sportart vorantreiben wollten. Vor allem die Russen, fand Hambüchen heraus, waren in dieser Sache schon weit vorangeschritten. Er machte sich aber auch eigene Gedanken – und (er)fand eigene Hilfsmittel. Der Schlauch eines Traktorreifens leistete ihm zum Beispiel gute Dienste. Obwohl so mancher Trainerkollege zunächst schmunzelte, als er das 25-Kilo-Ungetüm bei einer Fortbildung präsentierte. Inzwischen sind die Hambüchens akzeptiert – obwohl (oder weil) sie ein bisschen anders sind.

Trotzdem bleiben Unbekannte. Und Unsicherheitsfaktoren. Was, wenn der Junge plötzlich in die Höhe schießt? „Wir werden vom Olympiastützpunkt Frankfurt biomechanisch und sportmedizinisch optimal betreut“, sagt der Vater. Die Techniken würden auf Größe und Gewicht abgestimmt. Aus Gesundheitsgründen, um übermäßigen Belastungen aus dem Weg zu gehen. Sechs Zentimeter wächst der Turner im Moment pro Jahr, alles im grünen Bereich. Was, wenn der Junge plötzlich die Lust an seinem Sport verliert? Bei 24 Stunden Training und 30 Stunden Schule pro Woche. Denn das Abitur will der Neuntklässler auch machen. „Für mich wäre das Leben dann einfacher“, sagt der Vater. Was, wenn der Junge zu jung ist für eine Weltmeisterschaft? „Es gibt einen Chinesen, der ist mit 16 schon Mehrkampf-Weltmeister geworden“, sagt der Sohn.

Jürgen Roos

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