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Sport: Kleiner Fehler, große Wirkung

Hambüchen patzt leicht beim Abgang und wird bei der Turn-WM Vierter

Fabian Hambüchen riss die Fäuste in die Höhe und schrie seine Freude heraus. Der Jubel nach dem Ende seiner Reckübung war der Beleg dafür, welche Anspannung von dem 18 Jahre alten Turner aus Wetzlar abgefallen war. Doch weil Hambüchen auch Realist ist, hat er ein paar Sekunden später erkannt, dass er beim Reckfinale der Kunstturn-Weltmeisterschaften in Melbourne eine perfekte Übung mit einem nicht ganz optimalen Abgang beendet hatte: einem gestreckten Doppelsalto mit doppelter Schraube, dann die Landung mit etwas Vorlage, ein kurzes Nachdrücken in den Knien, ein Rudern mit den Armen. Dieser kleine Fehler kostete ihn in seinem ersten WM-Finale eine Medaille. Der Slowene Aljaz Pegan, der unmittelbar nach Hambüchen turnte, stellte seinen Dreifachsalto-Abgang exakt in den Stand, wurde Weltmeister – und drängte Hambüchen auf Platz vier. In der vergangenen Woche hatte der Reck-Europameister noch um seine Teilnahme am Finale bangen müssen. Erst nach einem Protest des Deutschen Turner-Bundes (DTB) hatte er den Endkampf erreicht, nachdem die nachträglich nach oben korrigierte Wertung des Russen Nikolai Krukow wieder nach unten korrigiert worden war.

Das Finale hatte es in sich. Vier Turner vor Hambüchen machten Fehler, die Chance auf eine Medaille stieg. Als Waleri Gonscharow (Ukraine) und Yann Cucherat (Frankreich) aber fast perfekt geturnt hatten, wusste Hambüchen, dass er sich keinen Fehler erlauben darf. „Da geht einem einiges im Kopf herum“, sagte der 18-Jährige. Er musste abschalten – und turnen. „Das war eine Topleistung“, sagte Bruno Hambüchen, sein Onkel und Mentaltrainer. Sein Neffe habe das eingesetzt, was sie für diese Situation geübt hatten: nicht rechnen, nicht an die Medaille denken. Dass ein so winziger Fehler schließlich entscheiden sollte, darauf hatten sie sich vermutlich nicht vorbereitet. „In der Luft habe ich gemerkt, dass ich ein bisschen zu viel Vorlage haben könnte“, sagte Hambüchen. Schließlich musste er in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob ein Schrittchen oder das Rudern mehr Abzug geben würde – wahrscheinlich hätte es keinen Unterschied gemacht.

Weil die Frage nach der Gerechtigkeit von Turnergebnissen bei dieser WM ein wichtiges Thema gewesen war, wurde schließlich diskutiert, ob Hambüchens vierter Platz auch die Leistungen des Finales widerspiegelte. „Pegan hat zum Schluss noch ein Schippchen draufgelegt und seinen Abgang perfekt gestanden“, sagte Trainer Wolfgang Hambüchen, „die Reihenfolge geht in Ordnung.“ Allein Wolfgang Willam, der Sportdirektor des DTB, stellte bei Hambüchens Wertung Unregelmäßigkeiten fest. „Die Amateure im Kampfgericht haben Fabian eine sichere Medaille gekostet“, sagte er. Das kann man so sehen. Die Kampfrichter aus Chile (9,55) und Irland (9,50) hatten den Deutschen mit niedrigen Noten bedacht, während die Vertreter aus Rumänien und den USA (je 9,70) in ihrer Beurteilung ziemlich hoch lagen. Dass sich am Ende keiner der Athleten über seinen Platz wunderte, war jedoch ein Zeichen dafür, dass alles mit rechten Dingen zugegangen war.

Auch DTB-Präsident Rainer Brechtken war zufrieden: „Wir sind nicht weit von der Weltspitze entfernt. Im Wettkampfturnen haben wir in Spitze und Breite einen Zuwachs von 15 bis 20 Prozent zu verzeichnen. Das haben wir Fabian zu verdanken.“ Und vielleicht gebe es in der nächsten Generation ja schon ein paar Hambüchens.

Jürgen Roos[Melbourne]

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