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Sport: Kohle, Stahl und Fußball

Eine Leidenschaft im Revier: Zum 100. Geburtstag des FC Schalke 04

Gelsenkirchen. „Null Vier“, lautet das Signalwort nur in Großbuchstaben auf einem Spruchband an der Stirnseite des Musiktheaters im Revier von Gelsenkirchen. Geworben wird für ein abendfüllendes Musical zu Ehren des FC Schalke 04. Am 4. Mai vor 100 Jahren wurde der Kultclub gegründet, gefeiert wird am kommenden Samstag. Seit über 50 Jahren sind die Blau-Weißen Zweiter in Westfalen hinter den Gelb-Schwarzen von Borussia Dortmund. Aber Schalke ist Legende aus der Urzeit des Revierfußballs, davon geblieben ist die marode Glückauf-Kampfbahn. Der Stadtteil Schalke bezeugt den Niedergang von Kohle und Stahl. Die immer noch so genannten Knappen spielen inzwischen auch nicht mehr in Schalke, ihre Arena liegt im Emscherbruch an der Grenze zur Stadt Herten.

Vom Musiktheater im Revier führt eine linealgerade Straße direkt nach Schalke. Hier heißt sie Kurt-Schumacher-Straße und durchschneidet mit ihren insgesamt vier Spuren und Straßenbahnschienen dazwischen den Stadtteil wie ein Messer. Aus der Bahn sieht der Besucher als erstes Signal das Wirtshausschild „Vereinslokal Schalker Fan-Club Verband“. Es folgt eine historische Wettannahmestelle – Ernst Kuzorra, Schalkes legendärer Spielführer der frühen Jahre, führte hier einen Tabakladen. Auch Reinhard Libuda, Schalkes Held der Sechziger, war Pächter des Geschäftes.

Bis 2001 ragte dahinter noch ein Förderturm der Zeche Consolidation in den Himmel. Als Industrieruine. Die zentrale Heimatzeche, verkürzt Consul genannt, wurde 1993 still gelegt. Ernst-Kuzorra-Platz heißt die Haltestelle auf dem Weg zur Glückauf-Kampfbahn. Das Vereinslokal von Schalke 04, eine einfache Kneipe, liegt direkt neben den verschlossenen Eingängen der alten Kampfbahn. Das Stadion ist derart marode, dass die Regionalligaelf von Schalke 04 hier nicht spielen durfte. Hier begann der Aufstieg des Klubs, der in den Dreißiger- und Vierzigerjahren seine größte Zeit hatte, mit sechs Deutschen Meisterschaften zwischen 1934 und 1942, ein siebter Titel kam 1958 dazu.

In der Geschichte des Klubs gibt es reichlich bunte Fußnoten. Der Westdeutsche Fußballverband etwa verweigerte dem Bergmannsverein einst die Aufnahme. Deshalb schlossen sie sich einem Turnverband an. Im Ersten Weltkrieg führte eine Frau den Verein. In den Räumen der Vorsitzenden, einer Wirtin, zogen sich die Spieler um. Was besonders pikant ist, die Königsblauen kickten in ihren Gründerjahren in Schwarz-Gelb. Und die verhassten Borussen in Blau-Weiß. Die Kosten beim Aufbau der Glückauf-Kampfbahn wurden nie ermittelt. Kenner der Schalker Szene gehen davon aus, dass sie schwarz entstanden ist. Steine der Zeche Consolidation, hier Berge genannt, wurden nicht regelmäßig auf Halden entsorgt, so manche heimlich ausgeführte Fuhre wurde die Grundlage für die Ränge.

Die Elf von Schalke 04 galt als von den Nationalsozialisten gehätschelt. Es wurden Schriften auf den Markt gebracht, in denen der Aufstieg der Nazis mit dem Erfolg der Schalker ideologisch auf eine Stufe gestellt wurde. Erst Jahrzehnte später erfuhren die Fans, dass ihr Spieler Fritz Szepan Wahlaufrufe für die NSDAP unterschrieben hatte. Deshalb verweigerte der Rat der Stadt, in Gelsenkirchen eine Straße nach ihm zu benennen.

Während des Krieges wurden Schalker Spieler nicht eingezogen. Die Elf blieb fast komplett zusammen, was auch ihre Stärke ausmachte. Die Männer um Hans Klodt, Fritz Szepan, Ernst Kuzorra, Hermann Eppenhoff, Otto Tibulski und Co. spielten zu lange ohne eine Verjüngung der Elf. Die Zäsur erfolgte am 18. Mai 1947 in Herne beim Endspiel um die Westfalenmeisterschaft. Bei strömenden Regen unterlag Schalke gegen Dortmund 2:3. Die Enttäuschung war so groß, dass die Männer um Ernst Kuzorra nicht zur Siegerehrung erschienen. Es war die Geburtsstunde einer tiefen sportlichen Feindschaft. Die Borussia wurde in dem vergangenen halben Jahrhundert mehrfach Deutscher Meister, Schalke nur noch einmal.

Der Zweite aus Westfalen, Schalke 04, will ab dem Jahr 100 zumindest die Nummer drei in Deutschland werden. Die Zuschauereinnahmen sind gewissermaßen auf 15 Jahre verpfändet. Von dem geliehenen Geld wurden große Spielernamen verpflichtet. Der Brasilianer Ailton sagte in einem Interview: „Alles, was ich bisher über Gelsenkirchen gehört habe, ist ein Desaster.“ Wenn er jemals den Geburtsort seines Arbeitgebers Schalke 04 betreten wird, die marode Glückauf-Kampfbahn, dann dürfte er sich in seinem wohl Urteil bestätigt sehen.

Hans Dieter Baroth

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