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Berufsoptimisten unter sich: Herthas Klinsi und Wolfsburg Wölfi (rechts).

© imago images/Christian Schroedter

Kolumne Auslaufen mit Lüdecke: Der Steinzeitfußball des Jürgen Klinsmann

Trainer Klinsmann vollzieht bei Hertha den taktischen Rollback. Aber was soll’s? Ist ja eh nur eine Übergangssaison für die Berliner.

Hertha BSC hat in Wolfsburg ein Fußballspiel gewonnen. Aber es gibt kaum eine Erklärung dafür, wie das passieren konnte. Als der Ball in der letzten Minute ins Wolfsburger Tor fiel, konnte ich gar nicht richtig jubeln. Ich vermutete eine Bildstörung.

Immerhin: Die gewählte Taktik des regredierenden Steinzeitfußballs ging am Ende auf. Und sie ist auch richtig. Denn Mannschaften, denen das Wasser bis zu Hals steht, müssen in erster Linie Tore verhindern. Und dann hoffen, dass vorne irgend etwas Glückliches passiert.

Auf Esswein ist Verlass

So kam es auch. In den letzten fünf Minuten gab es plötzlich einen Berliner Sturmlauf, angetrieben von Alexander Esswein, einem Spieler, der eigentlich nicht einmal ins Trainingslager mitfahren sollte. In der Innenverteidigung spielten aufgrund von Verletzung und Sperren zwei Spieler, die zuletzt nicht erste Wahl waren, und sie spielten überragend. Das ist doch schon mal was. Wir haben also vier sehr gute Innenverteidiger.

Irgendwie hat man ohnehin den Eindruck, diese Mannschaft besteht nur aus Verteidigern und Stürmern, die hinten aushelfen müssen. Ist bei der Zusammenstellung das Mittelfeld vergessen worden? Ich kann mich nur an zwei offensivere Mittelfeldspieler erinnern. Davon ist einer verletzt, der andere wurde nach England verliehen. Die erste Neuverpflichtung war wieder ein Defensivkünstler.

Vom Local Hot Spot Club aus Köpenick spricht kaum einer

Das überrascht. Seit Jahren fehlt Hertha ein kreatives Zentrum, und es hat nicht den Anschein, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird. Wie man hört, favorisiert Jürgen Klinsmann einen neuen Stürmer, der vorne vergeblich auf verwertbare Zuspiele wartet. Vielleicht holt man aber auch noch weitere Defensivspieler und macht demnächst einen Verleih auf.

Trotzdem muss man dem Berufsoptimisten Jürgen K. Respekt zollen. Der gespielte Fußball ist zwar keinen Deut besser geworden, aber die Punktausbeute stimmt. Wenn es so weiter geht, wird man den Abstieg verhindern können. Das ist gemessen an der Ausgangslage ein eher bescheidenes Ergebnis, aber was soll’s?

Diese Saison ist ja ohnehin eine Übergangssaison. Wie die letzte und die vorletzte. Und die nächste, sollte ein neuer Trainer kommen. Eines aber hat sich wirklich verändert: Die mediale Aufmerksamkeit, die dem selbsternannten Big City Club neuerdings geschenkt wird. Vom Local Hot Spot Club aus Köpenick dagegen spricht kaum einer. Und der steht als Aufsteiger zwei Plätze vor uns.

Der Berliner Kabarettist Frank Lüdecke ist Chef der „Stachelschweine“ und schreibt hier jeden Montag über die Fußball-Bundesliga.

Frank Lüdecke

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