zum Hauptinhalt

Kolumne: Ich – Ironman (3): Mit Goliath im Schwimmbecken

Unser Autor will Anfang Juli am deutschen Ironman in Frankfurt teilnehmen. Seine größte Schwäche ist das Schwimmen, deswegen setzt er auf Nachhilfe von einem Trainer. Der empfiehlt ihm den Schlachtensee - trotz Riesenwels.

Mein Hilfeschrei ist gehört worden, aber die Helfer rechnen mit dem Schlimmsten. „Nichtschwimmerbecken?“ Ich bin irritiert. Am Telefon will ich einen Termin für eine erste Trainingseinheit unter fachkundiger Aufsicht arrangieren, da fällt das vernichtende Wort. Wenn ich schon darauf bestünde, ohne Vorbesprechung in Badehose anzurücken, höre ich, dann könne man mir nicht versprechen, mich im großen Trainingsbecken zu Wasser zu lassen. Das behindere den Betrieb. Ein super Schwimmtrainer werde sich meine Versuche mal anschauen, verspricht man mir immerhin. Ich akzeptiere, was bleibt mir übrig?

Wie eine Kathedrale wirkt die Schwimmhalle der Wasserfreunde Spandau im Berliner Olympiapark. Mein Blick wandert hoch zum Zehn-Meter-Turm und dann fällt er auf meine Bestimmung, das Nichtschwimmerbecken, mickrig und leer. Ich will mich schon in Bewegung setzen, da sagt Trainer Sven: „Bahn eins“, und zeigt auf die andere Seite des Beckens. Unbändig wühlt sich dort ein Schwimmer mit pechschwarzer Schwimmbrille durchs Wasser. „Das ist Sebastian, Silbermedaillengewinner über 1500 Meter bei der Schwimm-EM 1993 in Sheffield“, erklärt Sven. Später hat er Freiwasserwettkämpfe über bis zu 25 Kilometer bestritten. „Wenn Du ganz rechts bleibst, darfst Du neben ihm schwimmen.“

Aufgeregt steige ich in das geweihte Wasser von Bahn eins und kraule los. Um Goliath nicht in die Quere zu kommen, schwimme ich so weit außen, dass mein Arm immer wieder gegen die Begrenzungspfähle am Beckenrand schlägt. Draußen schleicht mein neuer Wasserfreund Sven neben mir her. Vier Bahnen, 100 Meter. So lange schaut er sich das Ganze an, dann hat er genug gesehen für ein ganzes Referat und stoppt mich: „Du musst Deine Arme länger machen“, geht es los. „Stell dir vor, vor deinem Kopf schwimmt ein Baumstamm, über den du greifen musst.“ Außerdem solle ich länger gleiten, nicht so hektisch mit meinen Beinen strampeln, die Arme auf dem Weg nach vorne locker halten, die Hände dabei zu Schaufeln formen, schneller ausatmen – und eine getauchte Rollwende wäre auch besser. „Aber so schlecht sieht es echt gar nicht aus“, behauptet er trotzdem, ohne rot zu werden.

Mit den Ratschlägen im Kopf schwimme ich wieder los. Ich greife über das Holz vor meinem Kopf, immer und immer wieder, halte meine Beine ruhig, versuche länger zu gleiten. Eine halbe Bahn, da bemerke ich, dass ich nicht mehr atme. Ich habe es vergessen. Zu viele Gedanken. Erschrocken frage ich mich, wie viele Ratschläge mehr es gebraucht hätte, um mich zum Ertrinken zu bringen.

Noch ein paar Bahnen mehr, dann bittet mich Sven aus dem Wasser und zum Gespräch. Was ich denn beim Ironman erreichen wolle, fragt er mich. „Beim Schwimmen nicht in Panik geraten und auch nicht tot aus dem Wasser kommen“, antworte ich. Panik ist nicht unrealistisch, wenn sich wie beim Ironman Germany rund 2400 Schwimmer gleichzeitig in Bewegung setzen. Die 3,8 Kilometer durch den See haben mehr von Wasserball und Kampf als vom gediegenen Bahnenschwimmen. Aus der Luft sieht das Teilnehmerfeld nach kurzer Zeit aus wie eine Tanne. Die Schnellsten an der Spitze brauchen für die erste Disziplin etwa 50 Minuten. Hinten im Hauptfeld wird gedrängt, geschlagen und getreten – egal ob mit Absicht oder nicht.

Statt mir ein Probetraining bei den Wasserballern des Vereins anzubieten, empfiehlt Sven: „Da helfen nur Trainingseinheiten und Vorbereitungswettkämpfe im Freigewässer.“ Der Berliner Schlachtensee sei dafür ein geeigneter Ort. „Sehr klares Wasser.“ Zwar gebe es dort einen Riesenwels, der schon Hunde gefressen habe, aber als Raubfisch jage der keine Wasserlinsen, sagt er und grinst. Selbst sei er dort als Jugendlicher schon oft geschwommen. Von 17 bis 19 habe er auch Freiwasserwettkämpfe über bis zu 18 Kilometer bestritten, mit 1600 Trainingskilometern pro Jahr. „Triathleten, das sind für mich damals die Gescheiterten gewesen“, sagt er. Die, die es bei den Schwimmern nicht gepackt hätten. Mittlerweile ist er 33, hauptberuflicher Schwimmtrainer an der Poelchau-Oberschule, einer Eliteschule des Sports, und denke anders darüber.

Bevor ich mit ihm einen weiteren Trainingstermin ausmache, will ich von ihm wissen, wo ich mich auf einer Skala zwischen einem Nichtschwimmer und Michael Phelps zu besten Zeiten befinde. „Genau in der Mitte“, sagt Sven. Ich hake nach: Um einen Nichtschwimmer auf mein Niveau zu bringen, brauche er also genauso viel Zeit, um aus mir einen Michael Phelps zu machen? Er relativiert: „Sagen wir so: Du schwimmst besser als der durchschnittliche Besucher in öffentlichen Bädern am Warmbadetag.“

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag erscheint seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false