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Der Mammut Marsch. Muss frau/man erst mal durchhalten.

© promo

Kolumne „Losgelaufen“: John Wayne in gefrorenen Jeans

100 Kilometer Wandern am Stück. Kann ja nicht so schwer sein, dachte sich unsere Kolumnistin. Doch es war ganz anders.

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Gehören Sie auch zu den Läuferinnen oder Läufern, die sich ein Leben nach dem Laufen überhaupt nicht vorstellen können? Die stets ein wenig abschätzig auf Nordic Walker oder Spaziergehende herabschauen und sich denken, dass das Wellness aber kein richtiger Sport ist? Bei mir war das zeitweise so ausgeprägt, dass ich ohne Laufschuhe und die Gewissheit, dass ich dort gleich meine Runden drehe, nicht in den Wald wollte. Einfach nur so gehen? Ging nicht.

Seit geraumer Zeit verhagelt mir aber die Plantarfaszie das Laufen und die großen Läufe sind ohnehin abgesagt. Also gehe ich nun zügig meine Runden und weil es für diese Disziplin sogar noch einen Wettkampf gab, habe ich mich dort angemeldet. Mammutmarsch – 100 Kilometer wandern am Stück. Kann ja nicht so schwer sein, wenn man schon Marathon gelaufen ist, dachte ich mir.

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Letzten Freitag war es dann soweit. Start war in Potsdam, von da ging es nach Norden hoch bis zum Schloss Marquardt, weiter bis Elstal, dann entlang der Döberitzer Heide und irgendwann wieder runter Richtung Potsdam, vorbei an Groß Glienicke, Sacrow und Babelsberg. Mein Start war 18.30 Uhr, es ging also durch die Nacht bis weit in den nächsten Tag.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin grandios gescheitert. Bei Kilometer 73 war Schluss. Ich könnte jetzt behaupten, dass das an meinem Begleiter lag, der aufgrund der erbarmungslosen Hitze nach Sonnenaufgang Kreislaufprobleme bekam, und den ich nicht allein lassen wollte. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit.

Immerhin bin ich vorher noch nie in meinem Leben so eine lange Strecke am Stück gegangen

Die Ganze klingt so: Es war verdammt anstrengend und herausfordernd. Der Rucksack wurde mit jedem Kilometer schwerer, der Mund trotz Wasser immer trockener, die Beine gehorchten manchmal nur widerwillig. Es gab Phasen, da bin ich wie eine Maschine gegangen, mein ganzer Körper und die Schmerzen versammelten sich in meinem Kopf. Am schlimmsten war das Aufstehen nach den Pausen. Es gab insgesamt vier Versorgungsstationen und von denen wieder wegzukommen, statt einfach nur liegenzubleiben, war ein Akt. Fast ausnahmslos alle sahen bei den ersten Schritten aus wie John Wayne in gefrorenen Jeans.

Es war mittags, als wir aufgaben und ich hatte schon den Punkt erreicht, an dem ich innerlich schallend darüber lachen konnte, wie ich auf die abgedrehte Idee kommen konnte, „mal eben“ 100 Kilometer zu gehen. Als wäre das etwas, was man zwischen Feierabend und Workout am Montag aus Langeweile dazwischenschiebt.

Und so war ich am Ende auch nicht traurig darüber. Immerhin bin ich vorher noch nie in meinem Leben so eine lange Strecke am Stück gegangen, habe noch nie zuvor eine komplette Nacht durchwandert. Statt Enttäuschung breitete sich Freude darüber aus, etwas Neues entdeckt zu haben: Es gibt ein Leben nach dem Laufen. Wandern ist viel mehr als Wellness. Und es gibt auch im nächsten Jahr wieder einen Mammutmarsch.

Jeannette Hagen

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