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Aktion statt Reaktion: Wenn wir laufen, fühlen wir uns nicht ausgeliefert, sondern bestimmen selbst, wo es lang geht.

© Imago

Kolumne „Losgelaufen“: Warum das Laufen die Angst vertreiben kann

Es ist kein Zufall, dass während der Pandemie viele Menschen intuitiv auf das Laufen gesetzt haben. Denn Laufen wirkt sich positiv auf die Psyche aus.

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Selbst nicht laufen zu können, aber zusehen zu müssen, wie immer mehr Menschen das Laufen entdecken, ist eine Qual für mich. Dabei sollte ich mich eigentlich freuen, denn immerhin zeigt sich nun das, was ich in den letzten Wochen beobachten konnte, schwarz auf weiß: Es wird mehr gelaufen. Immer mehr Menschen kramen ihre Turnschuhe wieder aus oder starten ganz neu mit dem Laufen.

An einer Studie, die anlässlich des „Global Running Day“ veröffentlicht wurde, lässt sich das klar ablesen. Nicht nur, dass die Suchanfragen zum Thema „Laufen“ bei Google angestiegen sind, auch meinen 61 Prozent der befragten Deutschen, dass es gerade jetzt besonders wichtig sei, Sport zu treiben. Für 58 Prozent ist das Laufen das Mittel der Wahl, weil es für sie die besten Auswirkungen auf die Psyche hat. Da kann ich nur zustimmend nicken und mich weiterhin auf den ersten Lauf freuen, den ich dann hoffentlich ohne Fersenschmerzen absolvieren werde.

Gestern bin ich meine Laufrunde im Grunewald gegangen und musste feststellen, dass ich – was die Auswahl der Laufrunden betrifft – ziemlich eintönig unterwegs bin. Manchmal hänge ich einen Extraweg dran oder weiche auf einen Nebenpfad aus, aber im Großen und Ganzen ist es immer derselbe Weg. Ich mag die Eintönigkeit.

Ich könnte auch einen Marathon auf dem Sportplatz rennen und hätte kein Problem damit, knapp 105,5 Runden im Kreis zu laufen und wieder und wieder dasselbe zu sehen. So wird das Laufen noch mehr zur Meditation. Ich muss mich nicht auf das, was mich umgibt, konzentrieren, sondern kann meine Gedanken einfach fliegen lassen und kann in mich hineinhorchen.

Aus dem Schatten: Laufen hat positive psychische Effekte.
Aus dem Schatten: Laufen hat positive psychische Effekte.

© Daniel Naupold/dpa

Wenn ich im Wald bin, ist es ein bisschen anders als auf dem Platz. Da achte ich natürlich auf Veränderungen. Ob es nun die Jahreszeiten sind, die das Laub verfärben oder ein Baum, der durch den letzten Sturm einen Ast verloren hat. Alles ist irgendwie immer ein bisschen anders und doch absolut vertraut. Aber eben doch auch Routine.

Es ist übrigens kein Zufall, dass während der Coronavirus-Pandemie viele Menschen intuitiv auf das Laufen gesetzt haben. Laufen verringert die Angst. Es gibt uns das Gefühl von Handlungsfähigkeit oder die Selbstwirksamkeit zurück. Wenn wir laufen, fühlen wir uns nicht ausgeliefert, sondern bestimmen selbst, wo es lang geht. Aktion statt Reaktion. Auch die raschen Erfolge, die man als Anfänger oder Anfängerin beim Laufsport erfährt, wirken sich positiv auf die Psyche aus. Ebenso auch die Routine des Laufens.

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Ein weiterer Effekt entsteht durch den rhythmischen Ablauf der Bewegung über einen längeren Zeitraum. Aus der Neurobiologie wissen wir, dass durch diese Rhythmik Verarbeitungsprozesse im Gehirn anregt werden. Belastende Ereignisse werden eingeordnet und so verwundert es nicht, dass so mancher Läufer oder manche Läuferin auf der Laufrunde schon spontan Lösungen für Probleme gefunden hat, die vorher unlösbar erschienen.

Das funktioniert natürlich auch, wenn man nicht so eingefahren wie ich unterwegs ist, sondern bei jedem Training eine neue Wegstrecke läuft. Das Laufen an sich ist schon Routine genug. Laufen Sie also weiter gelassen durch die aufregende Zeit!

Jeannette Hagen

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