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Warum denn so grimmig? Jose Mourinho ist nach Chelsea zurückgekehrt und hat eigentlich alles so vorgefunden, wie er es im September 2007 verlassen hat.

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Kolumne Meine Champions League: Atletico, Chelsea und der schöne Fußball

Im dritten Jahrtausend ist der Fußball allein dem Kommerz verpflichtet. Das war nicht immer so. Unser Autor erinnert sich an Zeiten, in denen der FC Chelsea mal so etwas wie der kickende Feind des Establishments war.

Das Wort hat César Luis Menotti, der ewige Anwalt des schönen und gerechten Fußballs, er nennt ihn auch den „linken Fußball“. Menotti also sagt: „Beim Fußball der Linken spielen wir nicht einzig und allein, um zu gewinnen, sondern um besser zu werden, um Freude zu empfinden, um ein Fest zu erleben.“ Der Trainer Menotti hat den argentinischen Militärs 1978 den erwünschten WM-Titel geliefert, aber er war mutig genug, ihnen nach dem Finale den Handschlag zu verweigern.

Auf Vereinsebene hat er das ewig linke und dem schönen Fußball verpflichtete Unternehmen FC Barcelona betreut und wäre wohl nie auf die Idee gekommen, bei der Gegnerschaft von Real Madrid anzuheuern. Interessanterweise diente Menotti dafür Atlético Madrid, jenem Verein, der zu franquistischen Zeiten mit der Luftwaffe verbandelt war und damals Atlético Aviación hieß. Die einstigen Verbündeten der Legion Condor sind eigentlich kein gottgegebener Verein für einen linken Fußballtrainer.

Alles lange her. Im dritten Jahrtausend sind Fußballklubs allein dem Kommerz verpflichtet. Politische oder kulturelle Strömungen verpflichten nur noch als Folklore für einen überschaubaren Teil der Anhängerschaft. Aber auch die Kumpels von Schalke wissen, dass die Kohle ihres Klubs nicht mehr aus dem Schacht kommt, sondern aus russischem Gas gespeist wird. Und die Außenseiter von Atlético Madrid haben sich mit ihrer (linken?!) Guerillataktik europaweit so viele Sympathien erspielt, dass sie im Halbfinale der Champions League ein breites Spektrum an Unterstützern hinter sich sammeln – trotz der dem Klub nahe stehenden „Frente Atlético“, einer politisch extrem rechts stehenden Fangruppierung.

Chelsea war der erste Rock-’n’-Roll-Klub der Fußball-Geschichte

Im Hinspiel empfängt der Klub aus dem proletarischen Süden Madrids heute eine Mannschaft, die vermutlich auch der bekennende Fußballlinke Menotti gern einmal betreut hätte. Wenn auch in einer anderen Zeit. Der FC Chelsea war in den Swinging Sixties mit Trainer Tommy Docherty und Torjäger Peter Osgood so etwas wie der kickende Feind des Establishments. Der erste Rock-’n’-Roll-Klub der Fußball-Geschichte.

Wer mag sich heute noch vorstellen, dass Chelsea mal ein linker Klub war? Dieses britisch-russische Joint Venture, das Jahr für Jahr so viele Millionen versenkt, wie das sonst nur auf dem Gelände eines Flughafens südlich von Berlin zu beobachten ist? Der FC Chelsea hat es in Rekordzeit vom Liebling des Revoluzzertums zum Feindbild der Traditionalisten geschafft. Das liegt aus betriebswirtschaftlicher Perspektive an den Millionen des Roman Abramowitsch. Und aus fußballideologischer Sicht am Stil, für den die Mannschaft von der Stamford Bridge steht. Und dafür steht seit zehn Jahren ein Mann, der zwischenzeitlich auch in Mailand und Madrid war, dessen Philosophie Chelsea aber nie abgeschüttelt hat. Das Chelsea des Roman Abramowitsch ist das Chelsea des José Mourinho geblieben.

Auch der große Menotti ist mit seinem Ansatz überall gescheitert

Der Portugiese ist im vergangenen Jahr nach Chelsea zurückgekehrt und hat eigentlich alles so vorgefunden, wie er es damals verlassen hat, im September 2007. Immer noch spielen die Blues einen Fußball, bei dem nie das Wie wichtig ist, sondern immer nur das Was. Chelsea will nie schön spielen, immer nur erfolgreich. Eine Spielgestaltung im eigentlichen Sinne gibt es an der Bridge nicht, sie wird gern dem Gegner überlassen, auf dass dieser sich zu Fehlern verleiten lassen möge. So hat Mourinho es jetzt wieder in der Premier League nach oben geschafft, so hat er das Viertelfinale der Champions League gegen Paris St. Germain überstanden.

Aber kann er so auch gegen Atlético bestehen? Auch im Estadio Vicente Calderón fühlen sie sich nicht der Schönheit des Spiels verpflichtet. Aber Atléticos Stil mit seinen überfallartigen Angriffen wirkt so mitreißend, dass dabei auch die vielbeinige Verteidigungsarbeit gern in Kauf genommen, ja als unverzichtbarer Teil des Gesamtpakets empfunden wird. Im April 2014 kommt Atlético mit Koke und Diego Costa und David Villa daher als das attraktivere Chelsea.

Das aber muss kein gutes Zeichen sein. Denn der schöne und aufregende und nach César Luis Menottis Definition linke Fußball trägt den Makel mit sich, dass er nur selten Erfolge zeitigt. Auch der große Menotti ist mit seinem Ansatz überall gescheitert, mal abgesehen von diesem WM-Triumph von 1978. Und auch da hat Argentinien selten schön und aufregend gespielt, genau genommen nur einmal: beim 6:0 im für den Finaleinzug entscheidenden Zwischenrundenspiel gegen Peru. Heute weiß man, wer diesen Sieg ermöglicht hat. Das rechte Militär, mit Geld und Getreidelieferungen ins arme Peru.

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