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Enge Ballführung. Eisbärin Hertha zeigt ihr Talent.

© John MACDOUGALL / AFP

Kolumne: Meine Paralympics: Wasserball mit Hertha

Die kleine Eisbärin im Tierpark begeistert unsere Kolumnistin – anders als eine Studie, die zeigt, dass beim Thema Inklusion noch viel Nachholbedarf besteht.

Der 2. April wird in die Stadtgeschichte eingehen als ein besonderer. Denn zum ersten Mal wagten sich Herthinho und ein Eisbärmaskottchen in ein echtes Tierparkgehege. Nicht zu lange, und das war auch besser so, denn schließlich kam das gerade auf den Namen Hertha getaufte Jungtier mit Mutter Tonja fröhlich an die frische Luft unter herrlicher Sonne gestapft. Die kleine Berliner Eisbärin ging gleich mal zum Dribbeln an ihre drei grünen Spielringe im Wasser, und dann tollte sie kameragerecht mit dem blauen Hertha-Eisbärenball in Richtung Wassergraben, bis das Rund, plautz, auf dem Nass landete.

Mit Hertha-Geschäftsführer Ingo Schiller vom neuen Eisbärenpatenverein wurde dann noch kurz über Fußball geplaudert, über Liverpool und Mohamed Salah, den, na klar, nicht nur viele Neuberliner Jungens aus der arabischen Welt total cool finden, sondern den auch Hertha vom Prinzip her gern hätte – aber er kostet eben so viel wie große Teile der Berliner Mannschaft zusammen.

So viel Nichtbehinderten-Sport muss an Tagen wie diesen auch in einer Kolumne wie dieser mal sein. Um sich dann frisch motiviert Ernsterem zuzuwenden. Denn manche stehen in der Sonne, und andere im Schatten. Erst am Dienstag ist wieder klar geworden, dass Menschen mit Behinderungen in Sachen Sport, Inklusion und Teilhabe immer noch unfreiwillig eingeengt sind. Denn in Deutschland besteht nach Ansicht der Juristin Theresia Degener großer Nachholbedarf bei der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention, meldetet die Nachrichtenagentur epd. Die Wissenschaftlerin berief sich auf Untersuchungen des UN-Ausschusses für Menschen mit Behinderungen, der sich mit der Situation in 70 der 177 Staaten befasst hat, die die Konvention ratifizierten.

Auch zehn Jahre nach Verabschiedung der Konvention gebe es vor allem in den Bereichen Bildung, Mobilität und Wohnen erhebliche Mängel, sagte die Professorin für Recht und Disability Studies der Evangelischen Hochschule Rheinland- Westfalen-Lippe in Bochum. Degener ist auch Vorsitzende des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, die keine reguläre Schule besuchen, sondern auf Förderschulen unterrichtet werden, habe sich bundesweit nur um 0,6 Prozent verringert. Die Bundesrepublik sei auch weit davon entfernt, wie eigentlich beabsichtigt, bis 2022 einen barrierefreien öffentlichen Nahverkehr anbieten zu können, kritisierte die Juristin. Die Nutzung von Bus und Bahn sei aber zur gesellschaftliche Teilhabe erforderlich.

Das wissen viele Paralympioniken nur zu genüge. Bahn geht ja, aber Bus? Wie viele Rollstuhlfahrer passen in einen Reisebus? Sie können die Frage nicht beantworten? Genau. In der Regel keiner. Behindertensportler hoffen jetzt aufs autonome Fahren, was auch Menschen mit Amputationen eine neue Freiheit gewähren würde. Im Schatten stehen da wieder andere, die Zunft der Busfahrer, der Trucker, der Taxifahrer, ein enormer Verlust. Ganz abgesehen davon, dass diese computergesteuerten Mobile nicht alle Eventualitäten mit einrechnen können, zum Beispiel, wenn im hohen Kanada mal ein Bär vor die Haube läuft

Wo bleibt das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben?

Viele behinderte Athleten sind auch in Nordeuropa durch Verkehrsunfälle in eine völlig andere Lebensrealität katapultiert worden. Danach folgt oft eine harte Zeit, auch mit Gedanken an Suizid. Erst recht, wenn man isoliert lebt. In den Kommunen hat sich laut des neuen Überblicks aber die Zahl der behinderten Menschen, die ambulant, also Zuhause, betreut werden, verdoppelt. Wo bleibt das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben? Nicht alle können so kreativ und stark sein wie etwa Marianne Buggenhagen, die bei den Paralympics das Treppengeländer runterrutschte, wenn der Lift mal nicht ging. Positive Effekte sieht Degener hingegen auf dem Arbeitsmarkt. Die Erwerbslosenquote unter behinderten Menschen sei zurückgegangen. Zudem habe sich auch an den Unis die Zahl behinderter Studenten erhöht. Während der vergangenen zehn Jahre sei es gelungen, das Thema der Rechte von Menschen mit Handicap in der Gesellschaft zu verdeutlichen. Wenn ich das mal so anmerken darf, räusper, eine gewisse Paralympics Zeitung von Tagesspiegel und Deutscher Gesetzlicher Unfallversicherung hat daran durchaus seinen Anteil.

Und weil ich als alter Knut-Groupie heute beim Tippen noch ganz im Bann der kleinen Hertha-Bärin bin: Ihr Ball lag ja länger unbenutzt im Wasser. Sagt Tierpark-Chef Andreas Knieriem: „Sie ist ja auch keine Wasserballerin.“ Recht hat er.

Und ich kann mir nicht verkneifen, an dieser Stelle hier anzumerken: Es gibt übrigens auch gehörlose Wasserballer.

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