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Irina Mikitenko lief immer gerne in london - wenn auch eher zum Marathon als ins Büro.

© DPA

Kolumne: So läuft es: Entspannt zur Arbeit laufen

In London ermutigen Arbeitgeber ihre Angestellten, zur Arbeit zu laufen - ein Vorbild für Deutschland.

Ich habe sie gesehen. Bei einem Morgenlauf an der Themse. Ich konnte sie nicht zählen, es waren zu viele. Die Rucksackläufer von London. Die, die jeden Tag mit mächtig viel Puls am Arbeitsplatz ankommen und erstmal eine Dusche nehmen. Das ist anders, und schon hier können wir uns London als Vorbild nehmen. Die meisten Arbeitgeber planen Duschen für Mitarbeiter ein. Zudem ist Laufzeit bereits Arbeitszeit. Denn der kluge Londoner Chef weiß: Gesunde Mitarbeiter können für die Firma nur von Vorteil sein. Die Rucksäcke, in denen Duschzeug, frische Unterwäsche, Schminke, Eau de Toilette, ein frisches Hemd und vieles andere verstaut sind, werden oft ebenfalls gestellt. Alles was die Mitarbeiter tun müssen, ist laufen.

Und sie laufen, zu Tausenden. Das ist nicht nur gesund, endlich ist vor allen Dingen kein Platz mehr für die größte Ausrede überhaupt, nicht laufen zu können: „Ich habe doch keine Zeit.“ Den Lauf integrieren die Rucksackläufer in ihren Alltag. Er gehört dazu wie das Zähneputzen. Das ist das eine. Das andere ist: Eine Stadt wie London hat ein Sicherheitsproblem: Wer läuft, fährt nicht mit der U-Bahn. Und entgeht so im Zweifel dem nächsten Bombenanschlag unter der Erde. Wer läuft, läuft dem Verkehrschaos davon. Das Autofahren in London ist nichts für schwache Nerven. Wer läuft, kann nicht als Fahrradfahrer von einem der vielen Kleinlaster umgenietet werden. Zudem: Der Rucksackläufer macht auf Bewerbungsfotos in jedem Fall eine gute Figur. Und wer fit aussieht, der wirkt leistungsfähiger. Gut, das ist nicht nur in London so.

Wer in London zur Arbeit läuft, kommt nicht zu spät zur Arbeit. Wer das Auto oder die Bahn nimmt, muss genug Puffer haben, sonst ist die Verspätung vorprogrammiert. Für viele Rucksackläufer ist der Lauf zur Arbeit die Zeit des Tages, die nur ihnen gehört. Um sich auf den Arbeitstag einzustellen. Der Lauf zurück nach Hause ist Abschaltzeit. Und sie lassen den Muff des Büros auf dem Asphalt zurück. Das Leben in vielen Großstädten, auch in Deutschland, frisst Menschen teilweise auf. In Berlin gibt es nicht wenige, die sich nur mit zwei oder gar drei Jobs über Wasser halten können. Das Privatleben ist kaum vorhanden. Wer noch Familie hat, der wird eher nicht ans Laufen denken.

So könnte das „Prinzip Rucksackläufer“ in der Tat ein Vorbild auch in Deutschland werden. Kritische Stimmen werden sagen: Wenn der Mensch keine Zeit mehr für sich hat, und somit auch für Sport und Freizeit, dann stimmt etwas Grundlegendes nicht mehr. Stimmt. Total richtig. Aber bis hier ein Umdenken stattfindet, ist nicht zu laufen auch keine Lösung. Und Rucksäcke und Duschen am Arbeitsplatz wären ganz sicher auch bei uns keine schlechte Idee. Und wenn es nur 15 Minuten zur Arbeit sind und 15 wieder zurück. Es sind oft die kleinen Schritte, die Großes bewirken. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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