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Auch beim Laufen gilt: Immer locker bleiben.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kolumne: So läuft es: Nicht übertreiben, liebe Läufer!

Wer läuft, ist häufig auf der Suche nach ständig neuen Extremen - das ist nicht immer gesund. Umso besser, wenn man ab und zu mal wieder etwas eingefangen wird, meint unser Kolumnist.

Ich will nicht weiter ein großes Ding daraus machen, meine Meniskus-OP ist gelaufen. Und langsam laufe ich wieder. Beides stimmt. Ich laufe. Und das furchtbar langsam. Am Wochenende machte ich einfach einen Hundespaziergang auf meiner Laufstrecke, eine völlig neue Perspektive des Laufens. Die Strecke sah plötzlich ganz anders aus. Und die Menschen, die mir oft beim Laufen begegnen, waren einigermaßen verblüfft. Hundebesitzer unter sich kennen ja nicht unbedingt den Namen des anderen, dafür sehr wohl den Hundenamen. Ich traf Frauchen und Herrchen von Max.

Max zog wie immer. Frauchen von Max konnte Max kaum halten, Herrchen von Max schaute jungen Joggerinnen hinterher. „Ach Sie! Ganz ungewohnt, Sie in normaler Kleidung zu sehen. Das nächste Mal dann aber wieder in Laufsachen, ja? Aber nicht übertreiben!“, sagte Herrchen von Max. Da war es wieder. Nicht übertreiben. Heute traf ich beim Laufen Frauchen von Max. Natürlich mit dem ziehenden Max. „Nicht übertreiben!“, rief sie mir zu. Gut, die OP ist vier Wochen her. Und ich schaffe wieder meine 18 Kilometer. Nur eben sehr, sehr langsam. Wenn ich Treppen steige, zieht es noch immer etwas im Knie. Aber laufen geht super.

Da ist jemand

Außerdem gibt es ja genug Leute um mich rum, die mich warnen. Und mir „Nicht übertreiben!“ zurufen. Mein Vater sagt es sehr sorgenvoll, Großonkel Helmut mit seinen 92 Jahren sagt es sehr wissend, meine Hunde sagen es nicht. Wenigstens die nicht. Mein Arzt sagt es auch nicht mehr. Er hat aufgegeben. Mein Freund Andreas sagt es zwar, aber der ist mit einer Eisenplatte im Schienbein Ski gefahren. Wissen Sie, warum mir dieses „Nicht übertreiben!“ so verdammt gut tut? Es hat im Grunde gar nichts mit der Operation und meinem Comeback zu tun. Egal, wer mir diese beiden Wörter zuruft, jeder auf seine Weise, gibt mir das Gefühl, dass da jemand ist. Der einen mag, der sich sorgt, der einen schätzt.

Vielleicht sind es Menschen, die sehen, wie es manche übertreiben. Es muss immer weiter sein, es muss immer extremer sein, es muss immer härter sein. Ultramarathon-Läufe reichen plötzlich nicht mehr aus, der Marathon ist allenfalls noch eine Joggingrunde, und wer nicht wenigstens seine Altersklasse gewinnt, ist ein Verlierer. „Nicht übertreiben!“, möchte man zum Beispiel Jan Frodeno zurufen, der kürzlich in einem Interview sagte: „Ein zweiter Platz ist Niederlage und Versagen.“ Lieber Jan, das ist Quatsch! Selbst im Profisport ist diese Haltung totaler Unsinn. Man setzt sich nur selbst unter Druck, und dann wird es einfach nichts. So wie für dich auf Hawaii. Außerdem trägst du Verantwortung. Und dieser Satz ist eine üble Botschaft an all jene, für die du ein Vorbild bist. Also, nicht übertreiben! So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

Mike Kleiß

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