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Kommentar: "Alles nur nicht Italien!"

Italien hat gegen Holland eine schmerzliche Niederlage erlitten. Und uns als "neutrale" Betrachter freut das. Warum die Holländer zumindest für heute unsere Freunde sind und der Fußball-Gott doch gerecht ist.

Von Amir El-Ghussein

Was war das für ein Spiel. Italien zerlegt, tranchiert, seziert. Die Mannschaft von Trainer Roberto Donadoni hinweggefegt von stürmischen Holländern, die ihre Lust an der Offensive wiederentdeckt haben. Oranje im Rausch - Italien am Boden. Es war ein Spiel, das dem "neutralen" Betrachter nur gefallen konnte. Wer kann sich denn schon eine heimliche Freude verwehren. Haben wir nicht die Rache für das WM-Halbfinal-Aus von 2006 gesehen, nach der wir uns so gesehnt haben? Hat es uns nicht gefallen, wie die Italiener stolperten und dann auch fielen? Mir hat es gefallen. Die Azzurri haben verloren und keine Schwalbe, schauspielerische Leistung oder Petzen beim Schiedsrichter hat geholfen. Ja, wir gestatten uns, etwas nachtragend zu sein, denn mit Thorsten Frings hätten wir bei der WM bestimmt gewonnen!

Es ist so, als ob der Fußball-Gott sich an Italien gerächt hat - mit dem 1:0 von Ruud van Nistelrooy für Holland. Es sah stark nach Abseits aus. Aber ein Spieler, der vom eigenen Torhüter ins Seitenaus gerammt wird, hebt eine Abseitsposition auf, lehren uns nun die Regelkundler. Eine Regel, die kaum jemand vom Fachpersonal überhaupt kannte und deren Sinn im Verborgenen bleibt, es sei denn jemand hat genau diese Regel erfunden, um Italien eins auszuwischen. Sehr gut - es gibt ihn also doch, den Fußball-Gott. Und für Australien, das im WM-Achtelfinale wegen einer italienischen Schwalbe in der Nachspielzeit aus dem Turnier flog, gibt es späte Gerechtigkeit.

Weltmeister von der Rolle

Als wir in der Redaktion über den EM-Favoriten diskutierten, wurde immer wieder Italien genannt, aber es wurde auch immer wieder gesagt: "Alles nur nicht Italien!" Der Wunsch könnte nun schnell in Erfüllung gehen. Die Azzurri sind zum Siegen verdammt. Nur noch zwei Erfolge garantieren ein sicheres Weiterkommen in der Gruppe. Angesichts von rumänischen Defensivkünstlern und Intimfeind Frankreich, die auf die Azzurri warten, keine leichte Aufgabe.

Selten hat sich ein Weltmeister so vorführen lassen, wie die Italiener. Hinten löchrig, vorne unfähig. So hat man die Pasta-Produzenten selten gesehen. Und Luca Toni sah man in einer ungewohnten Rolle - er gab den Mister Chancentod.

Ausgerechnet Holland

Aber warum fällt den Niederlanden die Rolle zu, uns zu rächen? Sind die Holländer doch beliebtester Fußball-Feind der Deutschen. Die Rivalität ist traditionell, die Spukattacke von Frank Rijkaard gegen unseren Rudi Völler unvergessen. Doch an diesem Tag sind wir gnädig und nehmen die holländische Hilfe gerne an. Schließlich haben die Oranjes seit 20 Jahren nichts mehr gewonnen und verhelfen uns dazu, in Schadenfreude zu schwelgen.

Dass Italien Ziel von fußballerischem Spott ist, kommt nicht allzu häufig vor, und wenn sich der Weltmeister wieder fängt, könnte der Genuss von Häme schnell vorbei sein. Aber für heute hält er an und ich muss jetzt mal meinen italienischen Espresso-Meister vom Café nebenan besuchen, da ist noch eine Rechnung von vor zwei Jahren offen…

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