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Kommentar: Berlin spielt mit der Spitze

Berlins Fußball hat schon viel gewonnen: Robert Ide über die Erfolge von Hertha und Union.

La Ola im Olympiastadion für Hertha BSC, ein Autokorso durch die Stadt für den 1. FC Union. Berlin weiß zu feiern, wenn der heimische Fußball nach Jahren der Mittelmäßigkeit und Unterklassigkeit zum Aufstieg ansetzt. 10 000 Fans feierten am Samstag Unions Rückkehr in den großen Fußball, zeitgleich genossen 70 000 Menschen Herthas Spiel mit der Spitze – und die meisten von ihnen harrten noch lange aus im jubelnden Rund, als ob es viel mehr zu feiern gäbe als einen Arbeitssieg gegen den VfL Bochum. Und gibt es das nicht auch? Berlin ist mal wieder wer, jetzt sogar im Fußball.

Es ist unverkennbar: Die Hauptstadt erlebt auch als Sportstadt einen Boom. In der neuen Großarena am Ostbahnhof haben sich die Eisbären umgehend als Meister etabliert. Albas Basketballer starten als Tabellenerster in die Play-offs. Punktuell gewinnen auch die Handball-Füchse und die SCC-Volleyballer neues Publikum. An immer mehr Sonntagen prägen Hobby- und Spitzenläufer das Stadtbild wie gestern beim 25-Kilometer-Lauf – und im August gastiert die Leichtathletik-WM. Wenn aber die Sportart Nummer eins zu unerwarteten Erfolgsfesten einlädt, dann füllen sich die lange verschmähten Fußballstadien schnell mit Zigtausenden. Den Westen und das Umland zieht es zu Hertha, der alte Osten pilgert zu Union. Spannend wird sein, ob Union irgendwann den Kampf mit Hertha um die neue Mitte aufnehmen will. Noch hat sie keiner für sich gewonnen.

Hertha und Union – natürlich sind das unterschiedliche Geschichten; schon weil ihre Geschichte so unterschiedlich ist. Zu Mauerzeiten fühlten sich die Fans beider Vereine miteinander verbunden – als Außenseiter: Hertha war das West-Berliner Einzelkind der bundesdeutschen Fußballfamilie, Union das Ost-Berliner Arbeiter-Gör, das seinen Stolz aus Widerspenstigkeit bezog. Nach dem Umbruch ging es für Hertha erst gar nicht und dann schnell aufwärts (zu schnell, als dass der Verein nicht übermütig geworden wäre und sich als erwachten Riesen sah); Union fing lange bei null an. Nun aber treffen sich beide auf unterschiedlichem Niveau – sie ähneln sich in ihrer hartnäckigen Aufbauarbeit und ihren Erweckungserlebnissen. Unions Fans renovieren eisern ihr Stadion selbst – eine in Europa einmalige Aktion. Herthas Trainer Lucien Favre macht eigenwillig, still und leise jeden Spieler besser. So wachsen nach Jahren der verpassten Chancen zwei verschieden große Pflanzen auf dem Fußballrasen: eine Hertha, die sich mithilfe des Erfolgs endlich dem neuen Berlin öffnen kann, und ein Köpenicker Kiezklub, der sich treu bleibt inmitten der Fußball-Globalisierung.

Am 8. Juli wird Unions neue Alte Försterei eröffnet – als Gast kommt Hertha. Das trifft sich gut für eine gemeinsame Feier. Berlins Fußball hat schon viel gewonnen.

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