zum Hauptinhalt
Biegsam, nicht hölzern. Bundestrainer Joachim Löw hält große Stücke auf den 1,98 Meter langen Per Mertesacker.

© dpa

Konstante in der Abwehr: Per Mertesacker, der Schlangenmensch

Per Mertesacker hat nach seiner Operation am Sprunggelenk im Februar kein Spiel mehr bestritten. Trotzdem könnte er bei der Europameisterschaft in der Innenverteidigung gesetzt sein.

Wenn die Meldungen stimmen, die dieser Tage aus dem Quartier der deutschen Nationalmannschaft nach außen dringen, dann ist Per Mertesacker gerade mit Nachdruck damit beschäftigt, sich ein zweites berufliches Standbein aufzubauen. Der Innenverteidiger des Londoner Erstligisten FC Arsenal, dem eine englische Boulevardzeitung einmal „die Grazilität eines Liegestuhls“ bescheinigt hat, scheint an einer Karriere als Schlangenmensch zu arbeiten. Es gibt kaum einen relevanten Zeugen aus dem Kreis der Nationalmannschaft, der Mertesacker nicht für seine Fortschritte in Sachen Geschmeidigkeit lobt, überhaupt wird sein körperlicher Zustand allgemein als hervorragend bewertet. „In der Beweglichkeit, in der Koordination hat er sich unheimlich verbessert“, sagt Bundestrainer Joachim Löw. „Er ist beweglich, dynamisch und körperlich sehr ausgewogen trainiert.“

Schlangenmensch? „Was heißt Schlangenmensch?“, entgegnet Mertesacker. „Ich wurde von Anfang an unterschätzt, was Schnelligkeit und Beweglichkeit angeht.“ Bei einer Körperlänge von 1,98 Metern wirken viele Bewegungen bei ihm automatisch etwas hölzern, und bei seiner großen Übersetzung neigt man auch dazu, Mertesackers Dynamik etwas zu unterschätzen. Joachim Löw hat das nie getan. „Ich bin ein Trainer, der den Per sehr schätzt“, hat er vor einem Dreivierteljahr gesagt, und an dieser grundsätzlichen Bewertung hat sich seitdem nichts geändert. Mertesacker genieße bei ihm enorm großes Vertrauen, „weil er uns eigentlich immer zufrieden gestellt hat mit seinen Leistungen. Er hat den Bonus von drei hervorragenden Turnieren.“

Deutschlands vorläufiger EM-Kader in unserer Bildergalerie:

Die gegenseitige Verbundenheit kommt nicht von ungefähr. Per Mertesacker war und ist ein Kind der Ära Klinsmann, deren Erbe seit inzwischen sechs Jahren gewinnbringend von Joachim Löw verwaltet wird. Im Oktober 2004, zwei Monate nach dem Amtsantritt von Klinsmann und Löw bei der Nationalmannschaft, hat Mertesacker sein Länderspieldebüt gegeben. Da hatte der Innenverteidiger von Hannover 96 gerade 20 Bundesligaspiele hinter sich und war alles andere als eine nationale Berühmtheit. „Als ich angefangen habe, war das noch Neuland, einen jungen Spieler so früh in die Nationalmannschaft zu holen“, erinnert sich Mertesacker. „Heute ist es gang und gäbe, dass die jungen Spieler mit ein bisschen über 20 schon diese Erfahrung haben.“

Den Konkurrenzkampf in den eigenen Reihen findet Mertesacker nicht bedrohlich

Das Paradoxe ist, dass der Routinier nun zum Opfer einer Entwicklung werden könnte, die mit ihm erst angefangen hat. Sieben Abwehrspieler stehen im vorläufigen Aufgebot für die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine: zwei gelernte Außenverteidiger (Philipp Lahm und Marcel Schmelzer), aber gleich fünf Profis, die ihr eigentliches Betätigungsfeld in der Zentrale sehen. Und selbst wenn Benedikt Höwedes und Jerome Boateng von Löw eher als Kandidaten für die Außenpositionen geführt werden, bleiben mit Mertesacker, Mats Hummels und Holger Badstuber immer noch drei Bewerber für zwei Plätze. Badstuber hat als einziger Linksfuß einen sozusagen natürlichen Vorteil, und der Dortmunder Hummels gilt vielen als bester Innenverteidiger der Bundesliga – wo bleibt da Mertesacker?

„Ich habe immer ein gewisses Vertrauen vom Trainer gespürt, er hat mich grundsätzlich immer spielen lassen“, sagt der 27-Jährige, „aber ich laufe ja nicht blind durch die Gegend und denke: Ja gut, wir spielen auch jetzt wieder so, wie wir es in den letzten Jahren getan haben.“ Mertesacker ist seit der WM 2006 die Konstante in der zentralen Verteidigung, er war stets unangefochten und gerade für seinen Nebenmann Christoph Metzelder oft der Spieler, an dem der sich aufrichten konnte. Bis jetzt gibt es noch keinen Hinweis, dass es diesmal anders ist. Die Nationalmannschaft ist am Freitag nach Südfrankreich weitergereist, wo im Training das Fußballerische stärker im Vordergrund stehen wird; bis zur Verteilung der Stammplätze aber ist es noch weit hin. Man sollte Mertesackers Ehrgeiz jedenfalls nicht unterschätzen. „Per ist unglaublich heiß“, sagt Teammanager Oliver Bierhoff. „Er hat die EM in den Kopf gebrannt.“

An Ehrgeiz hat es Mertesacker noch nie gefehlt, und den Konkurrenzkampf in den eigenen Reihen findet er nicht bedrohlich, sondern sogar richtig gut: „Wir haben jetzt nicht so eine Mannschaft wie vor zwei, vier, sechs Jahren, wo die ersten elf Spieler einfach funktionieren mussten.“ Und so seltsam es klingen mag: Für Mertesacker könnte es im Hinblick auf die Europameisterschaft sogar ein Vorteil sein, dass er im Februar am Sprunggelenk operiert werden musste und seitdem kein Spiel mehr bestritten hat. „Bei Arsenal musst du erst einmal ein gewisses Programm durchlaufen, um wieder spielbereit zu sein“, sagt Mertesacker. Bei Werder Bremen, seinem vorherigen Verein, war das anders: „Da musste alles immer sehr fix gehen, da musste man sehr schnell wieder funktionieren.“

Diesmal hat Mertesacker einen Monat lang ganz gezielt an seiner körperlichen Verfassung gearbeitet, und zum ersten Mal vor einem großen Turnier konnte er vom ersten Tag an die komplette Vorbereitung mitmachen. In der Vergangenheit ist er wegen der Belastungen im Verein anfangs eher geschont worden; diesmal war das Programm für ihn besonders intensiv. „Die Basis ist sehr gut“, sagt Joachim Löw über Mertesackers Fitnesszustand, „jetzt müssen wir nur noch sehen, dass er ein bisschen Wettkampfpraxis bekommt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false