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Sport: Kopfarbeit vor Muskelbergen

Der frühere Bodybuilder Jörg Börjesson pumpte einst seinen Körper mit Dopingmitteln voll, bis er krank wurde – jetzt klärt er über die Gefahren auf

Der Wahnsinn kommt aus einem schwarzen Loch. Nebelschwaden wabern, deshalb sehen die Leute vor der Bühne erstmal nur einen Kopf, ein Gesicht mit sehr harten Zügen. Zum Gesicht gehört eine Glatze, im Spotlight sieht sie aus wie eine polierte Billardkugel. Dann lösen sich die Arme und die Beine aus dem Nebel. Die Arme haben den Umfang von Baumstämmen, die Beine erinnern an die Füße von ausgewachsenen Elefanten. Jeder Schritt ist ein schweres Stampfen. Zehn Schritte sind es bis zu einer Bank und einer Hantel. 315 Kilogramm liegen auf. Der Mann stemmt sie mit ächzend nach oben, die Gesichtszüge sind verzerrt. „Das ist Wahnsinn“, brüllt der Moderator auf der Bühne ins Mikrofon. 315 Kilogramm, gestemmt von einem 25-Jährigen, Körpergewicht 139 Kilogramm. Dann dröhnt wieder ohrenbetäubende Rockmusik an den Boxen. Der Glatzkopf triumphiert.

Vor der Bühne johlen sie. Hier unten haben sie alle Muskelberge. Aber 315 Kilogramm würden sie bestimmt nicht stemmen. 315 Kilogramm, das ist der Wahnsinn. Eine groteske Show der Kraftprotze. Der Kick auf einer Fibo, der größten Fitness-Messe der Welt, auch hier, bei der Fibo 2005 in der Grugahalle in Essen.

„Die sind hier so voller Stoff, das kannst du dir gar nicht vorstellen“, schreit Jörg Börjesson gegen die Musik und das Johlen an. Er wendet sich von der Bühne ab. Zu eng hier, zu laut, vor allem aber, muss er jetzt arbeiten.

Dazu braucht er Ruhe. Die Leute müssen ihm zuhören können. Sie sollen seine Geschichte hören. Seine Geschichte ist seine Botschaft. Und die Botschaft lautet: Verdammt noch mal, lasst die Finger von Dopingmitteln. Formt euren Körper im Fitnessstudio ohne dieses ganze Teufelszeug. Sonst leidet ihr so wie ich. Dieser Satz ist der traurige Höhepunkt der Geschichte.

Jörg Börjesson ist ein Dopingopfer.

Er hatte es so gewollt. Er war 19, als er mit dem Bodybuilding begann, er war 20, als er erstmals Dopingmittel nahm, er pumpte seinen Körper zu einem Muskelberg auf, er gewann ein paar unbedeutende Titel. Er war Mitte 20, als ein Arzt eine chronische Magenschleimhautentzündung feststellte. Und als ihm Brüste wuchsen. „Papa, bist du ein Mann oder eine Frau?“, fragte ihn sein dreijähriger Sohn im Bad. Das war zu viel für den Vater. Er hörte auf mit dem Doping.

Heute ist Börjesson 40 Jahre alt, er ist halb so breit wie früher. Er ließ sich 2002 an der Brust operieren, vor den Kameras von RTL. Die Bilder sollten abschrecken. Das machte ihn bekannt. Er arbeitet längst nicht mehr als Vertreter. Er hat keinen richtigen Job. Aber er hat seit ein paar Jahren eine Mission. Er geht an Schulen, in Jugendzentren, in Fitnessstudios. Er warnt, er klärt auf, er sagt, wie man auch ohne Dopingmittel gut trainiert. Und er zeigt Bilder von früher. Er mit deformiertem Oberkörper. „Ich sah aus wie ein Gorilla.“ Lehrer, Jugendleiter laden ihn ein, so finanziert er einen Teil seines Alltags.

Sie hören ihm zu, die Schüler, die Jugendlichen, die Freizeitsportler, die an Schwarzenegger denken, wenn sie an die Hanteln gehen. „Es ist ermutigend, dass ich die Leute dort erreiche“, sagt Börjesson. Er hat eine Internetseite eingerichtet. Unter www.doping-frei.de erfährt man alles über ihn und sein Projekt.

Aber er will auch an die Opfer ran. An die Leute, die Dopingpillen schlucken und sich Insulinspritzen setzen. An Leute, die „medikamentenabhängige Sportler sind“, wie Börjesson sagt. Kraftsportler, die sich nicht als Opfer sehen. „Weil sie unter Realitätsverlust leiden. Die denken, sie haben alles im Griff“, sagt Börjesson. Auch über die Leute bei der Fibo. Doch hier wollen sie nichts hören von einem wie ihm. Die muskulösen Männer und Frauen haben sich gequält für ihre Körper, sie wollen sich hier zur Schau stellen, betont cool und stolz auf die Qualen, die sie ertragen. Doping darf nur alltäglicher Teil des Trainings sein, nicht mehr. Es darf keine Bedrohung darstellen. Sonst verliert die Nabelschau ihren Sinn.

Börjesson steht irgendwo in der Halle, der Lärmpegel ist normal. Ein hochgewachsener Mann in schwarzem Rollkragenpullover kommt auf ihn zu. Mehrere Bodybuilder starren ihn an. Genauer gesagt: seine Oberarme. Solche Umfänge sind selbst hier ungewöhnlich. Börjesson starrt auch. Dann sagt er: „Der hat sich Implantate einsetzen lassen. Selbst mit Doping bekommt man nicht solche Arme.“ Er streckt ihm ein Informationsblatt entgegen. Der Mann läuft mit starren Blick an ihm vorbei. Ein anderer Muskelmann hatte kurz zuvor mit Börjesson zumindest noch gesprochen. „Hau ab, wir wollen dich hier nicht haben“, sagte er. Börjesson ist bekannt in der Szene.

Wenigstens kommt Börjesson mit Patrick ins Gespräch. Patrick sagt, dass er 19 und 1,80 Meter groß ist und mal 120 Kilogramm wiegen will. Jetzt wiegt er 96 Kilogramm. Patrick hört Börjesson geduldig zu, er nimmt die Geschichte des Dopingopfers auf. Er registriert auch, dass Börjesson sagt, dass er immer noch Schmerzen hat. Der Magen bereitet Probleme, die Gelenke sind kaputt. Aber am Ende sagt Patrick: „Es hat nicht genug abgeschreckt. Notfalls nehme ich etwas.“

Doch Leute wie Patrick sind schon ein Erfolg für Börjesson, bei einer Fitnessmesse jedenfalls. Er weiß, dass er wenig Chancen hat, mit seiner Botschaft durchzudringen. Nicht hier, nicht in einer Umgebung, in der Bücher angeboten werden, die „Anabolic Report“ heißen und „Insulin“ und „Die Injektion“. Hinweise für gutes Doping. „Das ist, als würde Christiane F. ein Buch herausbringen“, sagt Börjesson. „Mit Tipps: Wie koche ich am besten Heroin auf.“

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