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Sport: Krise im Paradies

Englands Liga schwächelt und wird so spannender

Für den Spielerberater Seb Ewen war die Arbeit in den vergangenen Jahren relativ einfach. Der 32-Jährige importierte dank guter Kontakte französische Nachwuchstalente in die erste oder zweite englische Liga. Die jungen Männer waren nicht nur billiger und in der Regel technisch besser geschult als ihre englischen Kollegen, sie konnten auch ihrerseits auf der Insel mehr verdienen. Doch „mit diesem Einbahnstraßenverkehr ist es erstmal vorbei“, sagt Ewen, „wir haben uns alle umstellen müssen.“ England ist nicht mehr länger das Paradies für Fußballprofis und die Premier League nicht mehr automatisch erste Wahl. Immer häufiger muss Ewen für seine Klienten Stellen auf dem Kontinent suchen. Einen im Verein in Ungnade gefallenen englischen Nationalverteidiger hat er kürzlich sogar in der Bundesliga angeboten. „Die Premier League hat ihren natürlichen Vorteil eingebüßt“, sagt er.

Schuld daran sind die Folgen der Finanzkrise. Da die britische Regierung die Wirtschaft mit Geld rettete, das erst noch gedruckt werden musste, verlor das Pfund gegenüber dem Euro seit August 2007 mehr als 20 Prozent an Wert. Der unattraktive Wechselkurs (1 Pfund = 1,16 Euro) macht zusammen mit der Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 45 auf 50 Prozent ausländische Spieler mehr als ein Viertel teurer; die Klubs müssen den Einkommensverlust meist ausgleichen.

In dem durch Real Madrids Transferaktivitäten überhitzten Markt konnte sich selbst ein Oligarchenklub wie der FC Chelsea nicht mehr die besten Spieler leisten. Der Pokalsieger konnte neben dem russischen Linksaußen Juri Schirkow (ZSKA Moskau, 20 Millionen Euro) bisher keine weiteren Stars unter Vertrag nehmen und so muss Michael Ballack darauf hoffen, dass sich der neue Trainer Carlo Ancelotti als stärkste Neuverpflichtung erweist. Meister Manchester United, nach dem Verkauf von Cristiano Ronaldo (Real Madrid, 93 Millionen Euro) eigentlich gut bei Kasse, hielt sich ebenfalls zurück. Der einstige Nationalstürmer Michael Owen kam ablösefrei vom Absteiger Newcastle, dazu der ecuadorianische Mittelfeldspieler Antonio Valencia für 20 Millionen Euro von Wigan Athletic. Ob die beiden den Abgang des Weltfußballers Ronaldo kompensieren können, ist fraglich; an Glanz hat Manchester (und damit die Liga) mit Sicherheit eingebüßt. Und auch der FC Liverpool hat mit Xabi Alonso einen Leistungsträger an die kaufwütigen Madrilenen verloren. Der beste, vergleichsweise billige, neue Ausländer dürfte Lorik Cana aus Marseille sein; Sunderland sicherte sich die Dienste des famosen Kosovo-Albaners für 6,5 Millionen Euro.

Selbst Manchester City, dank Petrodollars aus Abu Dhabi der finanzstärkste Klub der Liga, warb für mehr als 150 Millionen Euro ausschließlich Spieler von anderen englischen Vereinen ab. Mit Carlos Tevez, Roque Santa Cruz und Gareth Barry soll unbedingt die Champions League erreicht werden.

Auf Verstärkung aus den eigenen Reihen hofft dagegen wie jedes Jahr Arsène Wenger. „Wir sind reif für die Meisterschaft“, behauptet der Elsässer von seiner jugendlichen Schönspielertruppe, die nach dem Abgang von Kolo Touré und Emmanuel Adebayor zu City noch jugendlicher geworden ist. Wenger hat von den aus dem Verkauf erzielten 48 Millionen Euro nur zwölf für Verteidiger Tomas Vermaelen von Ajax Amsterdam ausgeben können – Arsenal leidet weiterhin unter der Schuldenlast des Stadionneubaus.

Chelsea ist laut den Buchmachern noch vor United Favorit auf den Titel, aber insgesamt sind die Vereine im oberen Tabellendrittel im Zuge des „triple whammy“, dem dreifachen Rückschlag aus Schulden, dem schwachen Pfund und Steuern, auf etwas niedrigerem Niveau enger zusammengerückt. So hat das drohende Ende der Vorherrschaft in Europa auch ein Gutes: Nach der Vertreibung aus dem Paradies kommt ein Hauch von sozialer Mobilität in die Liga.

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