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Verblasst. Aber nicht verabschiedet. Bundestrainer Joachim Löw bleibt in seinem Amt.

© Karl-Josef Hildenbrand/AFP

Bundestrainer nach WM-Aus: Wie der DFB vor Joachim Löw gekuscht hat

Trotz der historischen Blamage bei der WM bleibt Bundestrainer Joachim Löw im Amt. Der Deutsche Fußball-Bund beweist erneut seinen Dilettantismus im Umgang mit Krisen. Eine Analyse.

Die Nachricht kam nicht mehr allzu überraschend, und der Überbringer war es auch nicht. Dass Joachim Löw sich offenbar entschieden hat, als Bundestrainer im Amt zu bleiben und seinen gerade erst bis 2022 verlängerten Vertrag zu erfüllen, das wurde am Mittwochvormittag zunächst nicht etwa über die offiziellen Kanäle des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) verbreitet, sondern von der „Bild“-Zeitung verkündet. Von jenem Blatt also, das 1994, nach dem Viertelfinalaus der Nationalmannschaft bei der WM in den USA, eine vorgefertigte Rücktrittserklärung für Bundestrainer Berti Vogts abgedruckt hatte, mit der ausdrücklichen Bitte zu unterschreiben. Das hingegen Löw nach seinem historischem Scheitern in Russland umgarnt hat wie ein frisch Verliebter seine neue Flamme. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Sechs Tage sind seit der 0:2-Niederlage des Weltmeisters gegen Südkorea und dem damit verbundenen Vorrundenaus bei der WM vergangen. Sechs Tage lang ließ der 58 Jahre alte Löw die Öffentlichkeit und seinen Arbeitgeber über sein Vorhaben im Ungewissen. Dass er am Ende sein Weitermachen bekannt geben würde, war mit jedem Tag wahrscheinlicher geworden – zumal der öffentliche Druck weit weniger heftig ausgefallen war, als man es hätte vermuten können.

Nicht nur die „Bild“ positionierte sich als Löw-Unterstützer, auch aus der Bundesliga vernahm Löw in den vergangenen Tagen nur Zustimmung. Zuletzt sprachen sich seine Trainerkollegen Niko Kovac (Bayern München), Julian Nagelsmann (TSG Hoffenheim) und Christian Streich (SC Freiburg) für seinen Verbleib im Amt aus.

Dass auch Nationalspieler wie Jerome Boateng und Sami Khedira sich auf Löws Seite schlugen, ist allenfalls fürs Protokoll interessant. Gäbe es einen neuen Bundestrainer und damit ein entschlossenes Bekenntnis zum Neuanfang, müssten gerade die älteren und etablierten Kräfte wie Khedira um ihre weitere Karriere in der Nationalmannschaft fürchten.

Das Votum für Löw war also auch ein Votum dafür, dass es ähnlich weitergeht wie bisher. Doch genau das darf nicht passieren. Der Bundestrainer selbst hat nach seiner Rückkehr aus Moskau „tiefgehende Maßnahmen und klare Veränderungen“ angemahnt – jene Veränderungen also, die schon für die WM in Russland notwendig gewesen wären, die der Bundestrainer jedoch scheute, was letztlich dazu führte, dass der Titelverteidiger müde, uninspiriert und satt wirkte.

Hat es überhaupt eine echte Debatte gegeben?

Gemessen an Löws Verantwortung daran ist es verwunderlich, wie geräuschlos die Debatte um seine Person abgelaufen ist. Hat es überhaupt eine echte Debatte gegeben? Der Bundestrainer hat in Russland und schon in der Vorbereitung in Südtirol alles andere als eine überzeugende Figur abgegeben. Sein ganzes Wirken wirkte erratisch.

Im Trainingslager trat er bei der Pressekonferenz zur Benennung seines finalen WM-Kaders auf, allerdings nur unter der Bedingung, keine Fragen beantworten zu müssen. Als Löw das Pressezelt verließ, folgten ihm einige Reporter, stellten ihm die Fragen, die gestellt werden mussten – der Bundestrainer beantwortete sie bereitwillig. Am Tag vor dem ersten WM- Spiel verkündete Löw in Interviews mit ARD und ZDF, dass Julian Draxler gegen Mexiko in der Startelf stehen werde. Fünf Minuten später sagte er in der offiziellen Fifa-Pressekonferenz, eine Entscheidung über Draxler sei noch nicht gefallen.

So sprunghaft war der Bundestrainer auch in seinen Personalentscheidungen. Gegen Mexiko setzte er auf die Weltmeister von 2014, dann modelte er seine Mannschaft zum Spiel gegen Schweden komplett um – und machte fast alles gegen Südkorea wieder rückgängig. Löw schien das Gespür abhandengekommen zu sein, was sich auch an den Fotos aus Sotschi zeigte, als er auf der Strandpromenade bereitwillig und an eine Laterne gelehnt für einen Agenturfotografen posierte.

Man hätte innerhalb des DFB also durchaus das Bedürfnis verspüren können, Löw ein paar Fragen zu stellen. Aber das hat Präsident Reinhard Grindel vehement unterbunden. Wie schon in der Affäre um Özil und Gündogan ist es dem Verband auch im Fall Löw nicht gelungen, die Angelegenheit professionell zu managen. Er hat es, im Gegenteil, sogar geschafft, seine Position der Stärke komplett einzubüßen – und am Ende wie ein kleiner Bittsteller dazustehen, der auf Knien darum bettelt, dass der gnädige Herr Bundestrainer doch bitte seine Bereitschaft zum Weitermachen erklärt.

Einer für alles. Reinhard Grindel hat den Bundestrainer nie in Frage gestellt.
Einer für alles. Reinhard Grindel hat den Bundestrainer nie in Frage gestellt.

© dpa

Löw hat sich ohne Frage historische Verdienste um den deutschen Fußball erworben. Er war dafür verantwortlich, dass die Nationalmannschaft angefangen hat, schönen Fußball zu spielen; er hat 2014 als Bundestrainer den WM-Titel geholt. Aber das Vorrundenaus des Weltmeisters in Russland war eben auch ein historisches Scheitern. Trotzdem hat sich Grindel ohne Wenn und Aber auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit versteift.

Nach der Rückkehr aus Russland musste er nur eine Nacht über die Sache schlafen, ehe er das DFB-Präsidium zur Telefonkonferenz zusammenschalten und sich seinen Kurs von den übrigen Verbandsoberen absegnen ließ. Die DFB-Führung folgte ihm im Gänsemarsch. Zu diesem Zeitpunkt hatte es noch keinerlei Analyse des WM-Debakels gegeben, auch keine Hinweise von Löw, wie denn die tiefgehenden Maßnahmen und Veränderungen aussehen könnten, die er selbst angekündigt hatte. Der DFB hat die Katze sozusagen im Sack gekauft.

Löw fuhr erst mal im Oldtimer-Cabrio durch Freiburg

Damit nicht genug: Der Verband hatte durch sein dilettantisches Krisenmanagement auch sämtliche Handlungsoptionen verspielt und konnte nichts anderes mehr tun, als zu warten. Und wer Löw kennt, weiß, dass das nach einem Turnier mit seinen unmenschlichen Anforderungen schon mal länger dauern kann. Da wirkte es fast putzig, dass Rainer Koch, Grindels Stellvertreter, am Wochenende eine zügige Entscheidung des Bundestrainers anmahnte. Der lieferte – mal wieder – die passenden Bilder dazu, als er in einem Oldtimer-Cabrio durch Freiburg fuhr und sich in einem Straßencafé mit Freunden traf.

Niemand hat am vergangenen Mittwoch in Kasan eine Ad-hoc-Entscheidung wie nach der EM 2004 verlangt, als Teamchef Rudi Völler den DFB in der Nacht nach dem Vorrundenaus von seinem Rücktritt in Kenntnis setzte und ihn bereits am nächsten Morgen, noch vor dem Abflug nach Deutschland, verkündete.

Es hätte allerdings durchaus eine Möglichkeit gegeben, die Angelegenheit vernünftig zu regeln. Man hätte Löw das Wochenende als Bedenkzeit geben können und von Seiten des DFB seinerseits auf eine Festlegung verzichten sollen – um dann am Montag in der Verbandszentrale in Frankfurt am Main (oder gerne auch an einem geheimen Ort) zu einer Abschlussbesprechung zusammenzukommen, die Erkenntnisse aus der WM zusammenzutragen und sich gemeinsam die weiteren Schritte zu überlegen. Ja, der weitere Schritt hätte auch eine Fortführung der Zusammenarbeit sein können, allerdings unter dann klar definierten Bedingungen.

Stattdessen hat der DFB Löw eine Blankovollmacht erteilt und ihm noch dazu den roten Teppich ausgerollt. Er hat vor einem Trainer gekuscht, der gerade eine historische Blamage zu verantworten und sich eine knappe Woche Zeit gelassen hat, um sich zu erklären – als wollte er noch einmal klar und deutlich machen, wer im Deutschen Fußball- Bund eigentlich das Sagen hat.

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