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Sport: Kritzeln, patzen, Haare raufen

Nervenduelle im Spitzenspiel der Schach-Bundesliga

Immer , wenn es ernst wird, kommt Viswanathan Anand. Am Wochenende war es wieder so weit, der OSC Baden-Baden ließ das indische Schachgenie nach Hamburg einfliegen. Dort saß Anand in der provisorisch zu einem Spielsaal umgebauten Kantine eines Versicherungshauses und sollte im Spitzenkampf der Bundesliga punkten. Baden-Baden gegen Werder Bremen. Erster gegen Zweiter. Titelfavorit gegen Titelverteidiger.

In den vergangenen drei Jahren hatte Anand 25 Partien für den OSC gespielt – und keine verloren. Diese Serie schien auch gegen Bremens britischen Topmann Luke McShane zu halten. Mit der gewohnten Leichtigkeit hatte er den Oxford-Studenten, der in der Weltrangliste über 100 Plätze hinter ihm steht, zunächst überspielt. „Ich stand wohl auf Gewinn. Aber was dann passiert ist, kann ich mir nicht erklären“, rätselte Anand hinterher.

Nach fünf Stunden Spielzeit waren die Spuren eines aus der Kontrolle geratenen Kampfes sichtbar geworden. Auf dem Schachbrett fehlte Anand ein Läufer, und seine sonst sorgsam gescheitelten schwarzen Haare wirkten nun punkig, vom vielen Raufen. Doch als McShane im 67. Zug seinen Freibauern vorschob, begannen Anands Augen wieder zu leuchten. Der Brite war in die letzte Falle getappt. Blitzschnell schüttelte Anand eine Kombination aufs Brett und rettete sich in ein Remis, das den Seinen immerhin ein 4:4-Unentschieden sichern sollte (siehe Notation in der Rubrik „Zahlen“).

Bei einem Sieg der Badener wäre die Meisterschaft wohl schon vier Spieltage vor dem Saisonende entschieden gewesen, nun jedoch bleibt es spannend. Baden-Baden (20 Punkte) führt vor Werder Bremen (19) und Rekordmeister SG Porz (18). Die beiden Ersten müssen jeweils noch gegen Porz antreten.

Obwohl Baden-Baden die zurzeit in Mexiko spielenden Großmeister Swidler, Bacrot und Vallejo Pons ersetzen musste – Peter Swidler schlug dort am Wochenende Weltmeister Wesselin Topalow –, waren sie gegen Bremen an allen acht Brettern favorisiert. Am Ende freuten sich indes beide Seiten über die Punkteteilung. Die Norddeutschen, weil sie nach sechs Stunden durch verdiente Siege von Lars Schandorff und Yannick Pelletier den zwischenzeitlichen Rückstand aufgeholt hatten; und die Süddeutschen, weil sie auch am zweiten Brett zu einem schmeichelhaften Sieg durch Alexej Schirow gekommen waren. Denn Bremens junger Ukrainer Zahar Efimenko hatte im 39. Zug die Bedenkzeit überschritten, weil er glaubte, es seien bereits die erforderlichen 40 gemacht worden. Ein Blick auf sein voll gekritzeltes Partieformular verriet überdies Efimenkos enorme innere Unruhe während der Partie: Kein nach der Eröffnungsphase notierter Zug war zu entziffern, was ihm letztlich selbst zum Verhängnis wurde.

Den anderen Sieg für Baden-Baden erzielte Großmeister Philipp Schlosser. Im Schatten seiner renommierten Teamkollegen hat er sich zum erfolgreichsten Spieler der Saison entwickelt. Schlosser gewann an den hinteren Brettern zehn von elf Partien. Für seine Form hat er eine erstaunliche Erklärung: „Mich haben schon Zuschauer gefragt, warum wir es wagen, mit drei deutschen Spielern anzutreten. Solche unsensiblen Äußerungen motivieren mich.“ Schlosser hält die Annahme, man könne nur mit internationalen Größen die deutsche Meisterschaft erringen, für unsinnig. Nach drei vergeblichen Anläufen wollten sie es diesmal schaffen.

Im Gegensatz zu Ligen anderer Länder dürfen in der aus 16 Mannschaften bestehenden Bundesliga beliebig viele ausländische Profis eingesetzt werden, was von jeher bestehende Gegensätze verstärkt: Während Spitzenteams manchem Elitegroßmeister mehr als 1000 Euro pro Partie zahlen, tragen Amateure von Abstiegskandidaten ihre Spesen mitunter selbst.

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