zum Hauptinhalt

Sport: Kühl kontern und jubeln

Abgeklärte Italiener besiegen heißblütige Deutsche

Kurz vor Beginn der Verlängerung versammelte sich die deutsche Mannschaft zum mittlerweile obligatorischen Klinsmann-Kreis. Die deutschen Spieler umarmten sich, und in der Mitte hielt erst der Bundestrainer und dann Per Mertesacker eine kurze Ansprache. Ein paar Meter weiter links saßen die italienischen Spieler und schauten herüber. Man wird nicht mehr erfahren, was sie in diesem Moment dachten, aber anzunehmen ist in etwa folgender Gedanke: Das hilft euch jetzt auch nicht mehr!

Es wäre sicherlich ungerecht, wollte man sich über diese Art der Motivationskunst lustig machen, fest steht nur: Die Italiener hatten das an diesem Abend nicht nötig. Genauso gelassen, ja aufreizend selbstbewusst wie sie in diesen Sekunden den Deutschen bei ihrem Tun zuschauten, spielten sie 120 Minuten lang Fußball. Und das, wie es Italiens Trainer Marcello Lippi sagte, „nicht nur gegen enthusiastisch spielende Deutsche, sondern auch gegen 50 000 tolle deutsche Fans“, was die Abgeklärtheit der Italiener nur noch unterstreichen sollte.

Hinterher hatten die Italiener zwar leicht reden, aber nach diesem Spiel glaubte man Francesco Totti aufs Wort, als er sagte: „Wir hatten keine Angst vor diesem Stadion und auch nicht vor diesem Publikum. Wir haben vor niemandem Angst.“Aber ganz so cool wie die Italiener hinterher taten, waren sie wohl nicht. Die Gesichter glänzten vor Glück, und in jedem zweiten Satz wurde der „hervorragende Teamgeist“ erwähnt, der die Mannschaft zum Sieg geführt habe. In der Tat war es schwierig, hinterher einen Italiener besonders herauszuheben. Die stille und konzentrierte Arbeit mancher Spieler war so unauffällig, dass sie vermutlich nicht einmal die Zuschauer mitbekommen haben. Die deutschen Spieler dagegen schon, denn sie verloren vor allem das entscheidende Duell des gesamten Spiels: Sie verloren die Kontrolle im Mittelfeld.

Lippi hatte seiner Achse Pirlo/Totti vertraut, und beide rechtfertigten dieses Vertrauen mit einem grandiosen taktischen Spiel. Wann immer es einen Ball nach vorne zu bringen galt, war Pirlo zur Stelle, die häufigste erste Anspielstation war wiederum Totti, der dann meist schnell und steil auf die mitlaufenden Außenverteidiger passte. Vor allem Mauro Camoranesi machte bis zu seiner Auswechslung ein beeindruckendes Spiel und war mitverantwortlich dafür, dass Philipp Lahm zumindest bis Mitte der zweiten Halbzeit nicht erneut zu den besten Deutschen gehörte.

Die Italiener bewiesen einmal mehr, dass ein effektives Defensivspiel höchste Fußball-Kunst sein kann, vor allem, wenn aus dieser dicht gestaffelten Abwehr schnelle Offensivaktionen eingeleitet werden. Der entscheidende Unterschied zu den Argentiniern, die im Elfmeterschießen gegen Deutschland verloren hatten, war Trainer Lippis Mut, zur richtigen Zeit offensiv zu werden. Argentiniens Trainer Pekerman hatte beim Stand von 1:0 für sein Team Spielmacher Riquelme dem Spielzerstörer Cambiasso geopfert, um das Ergebnis zu halten. Lippi dagegen brachte drei weitere Stürmer, nicht nur, um das Elfmeterschießen zu vermeiden, sondern auch, weil er sah, dass die Deutschen müde wurden. Zählt man Totti noch hinzu, der eine Art hängende Spitze spielte, standen nominell vier Stürmer auf dem Platz; trotzdem gelang es den Italienern, bei deutschen Kontern hinten meistens sicher zu stehen.

Für dieses Spiel mit hohem Risiko muss man sehr abgebrüht und sehr erfahren sein. Selbst dem angeblich schwächsten Italiener – so hatte man vor dem Spiel Fabio Grosso bezeichnet – gelang es, gegen den frischen Flitzer David Odonkor Ruhe zu bewahren. Und dann schoss er auch noch das entscheidende Tor. Odonkors Spiel steht sinnbildlich für den Qualitätsunterschied. Er ist emsig und schnell, und mit seinem Temperament kann er auch entscheidende Szenen herbeiführen. Ein guter Fußballspieler ist er trotzdem nicht. Grosso brauchte meist nur gutes Stellungsspiel und das richtige Timing, um ihn zu stoppen.

Diese Mischung aus Abgeklärtheit und spielerischer Klasse macht die Italiener so stark. Nicht umsonst sind sie seit 24 Länderspielen ungeschlagen und haben bei der WM nur ein Tor kassiert – ein Eigentor. Letztlich war sogar der entscheidende Treffer auf diese Mischung zurückzuführen. Es geschah nach der zwölften Ecke für Italien, Deutschland hatte es auf vier gebracht, als Pirlo den Ball am Strafraum bekam und ihn wie ein Handballer auf der Suche nach der Lücke ablief. Alle dachten, Pirlo wolle schießen, doch er suchte und fand Fabio Grosso, „und der hat es dann wirklich super gemacht“, wie Michael Ballack meinte.

Es wird sehr schwer, die Italiener im Finale zu besiegen. Und deswegen muss man es auch nicht als Arroganz auslegen, wenn Totti auf die Frage, welcher Gegner ihm lieber sei, nur verächtlich zischte: „Ist doch egal.“ Es ist wohl die Wahrheit.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false