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Sport: Küsse für die Jungs

Teamgeist und Einsatzfreude im Sledgehockey begeistern bei den Paralympics die Zuschauer

Wie hatte Mannschaftssprecher Gerd Bleidorn vor dem Halbfinalspiel gegen Kanada zu den weiblichen Fans am Rande des Eises gesagt? „Wenn wir verlieren sollten, könnt ihr ja in die Kabine kommen zum Trösten.“ Er zwinkerte allerdings dabei mit den Augen, denn Zuspruch hatten die 14 bundesdeutschen Sledgehockeyspieler, ihre Trainer und Physiotherapeuten selbst nach der Niederlage im Halbfinale gegen die kanadische Nationalmannschaft nicht nötig. Erst der 2:1-Sieg gegen die USA, dann der 4:0-Erfolg gegen die Schweden, schließlich das 0:0 gegen Japan – da vergießt wegen der 0:5-Niederlage gegen Kanada niemand eine Träne. „Wir hätten den Traum gern weitergeträumt, aber dass wir bei der Paralympics-Premiere unter den Top vier der Welt sind und um Bronze spielen, ist schon Wahnsinn“, sagte Verteidiger und Mannschaftskapitän Marius Hattendorf vor dem Spiel um Bronze. Deutschland unterlag den USA gestern Abend dann beim Kampf um eine Medaille grippegeschwächt 3:4.

Zu Hause treten die Spieler mit den beiden Stöcken zum Vorwärtsschieben und Schlagen vor ein paar Dutzend Leuten in der Provinz an – in Turin kurven sie vor ausverkauftem Haus übers Eis. Deswegen wurde das Spiel gestern auch über Leinwand auf der Piazza de San Carlo übertragen. Die Schlittenhockeyspieler sind die Stars der Paralympics 2006. So wie die Snowboarder die Zuschauer bei den Olympischen Spielen von ihren Sitzen holten, so begeistern die Sledgehockeyteams die Zuschauer in der Eishalle Torino Esposizioni. Es sind meist Amputationen nach Knochenkrebserkrankungen oder Querschnittslähmungen nach Unfällen, weswegen die Männer jetzt Krücken, Prothesen oder Rollstühle für ihre Mobilität brauchen. Zart besaitet sind sie deshalb nicht. „Die spielen genauso hart wie ihre stehenden Kollegen“, sagte Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhofer, der das deutsche Team als einer der Sponsorenvertreter in der Vorrunde anfeuerte.

„Die Stärke der deutschen Spieler ist, dass sie so schnell und kräftig sind und so eine große Sitzhöhe haben“, sagt Phil Newton, Pressechef der Kanadier – die übrigens die Winterparalympics 2010 ausrichten. Die Kanadier sind wie auch viele amerikanische Spieler vielfach Profis, die Deutschen eher Freizeitspieler: Rund 15 000 Euro pro Jahr bekommt ein erfahrener Spieler als Unterstützung von der kanadischen Regierung. In Deutschland sind es bei den meisten Amateuren gerade einmal zweistellige Beträge der Deutschen Sporthilfe. So fordern viele Aktive und Funktionäre, dass Leistungssportler mit Handicap die gleiche Förderung von der Sporthilfe erhalten müssen wie nichtbehinderte Athleten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Und dass auch sie als Angestellte der Bundeswehr in den Sportkader aufgenommen werden können. Derweil schnürt das Team Germany Unterleib oder Bein noch per Paketband an mehrfach reparierte Schlitten, während Profiteams mit maßgefertigten Hightech-Geräten samt Sportgurtband aufs Eis gehen.

Doch der Teamgeist hebt beim Sledgehockey alle in höhere Sphären. Wie hatte Cheftrainer Michael Gursinky kürzlich beim Empfang der deutschen Nationalmannschaft im Goethe-Institut in Turin begeistert gesagt? „Ich könnte die Jungs alle küssen.“

Annette Kögel[Turin]

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