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Sport: Kugelstoßen: Der Dicke hat den Dreh raus

Mit Gebärden, Grimassen und Geschrei, als wäre ein Wrestling- und nicht der Kugelstoßring ihre Bühne, kämpften die massigen Kolosse um die Medaillen. Der auffälligste Typ war auch der beste: Arsi Harju.

Mit Gebärden, Grimassen und Geschrei, als wäre ein Wrestling- und nicht der Kugelstoßring ihre Bühne, kämpften die massigen Kolosse um die Medaillen. Der auffälligste Typ war auch der beste: Arsi Harju. Und das war eine ziemliche Überraschung. Der Finne mit dem pinkfarbenen Piratentuch, dem blonden Pferdeschwanz, dem roten Wikinger-Bart und den kleinen listigen Augen stieß die Kugel im zweiten Versuch 21,29 Meter weit und schockte damit das favorisierte Trio der Amerikaner bereits zum zweiten Mal an diesem ersten Tag der Leichtathletik-Entscheidungen.

Der 26-jährige Finne hatte noch nichts Großes gewonnen. Bei den Weltmeisterschaften vor einem Jahr in Sevilla war er Zwölfter gewesen. Nun stößt der Mann auf einmal schon in der Qualifikation die Kugel 21,39 Meter weit, so weit wie nie zuvor. "Körperlich war ich schon immer fit und stark. Aber ich habe meine Technik verbessert", sagte Harju.

Der gemütliche Dicke, 1,83 Meter groß und 110 Kilo schwer, hatte vor allem die Ruhe weg und seinen Rivalen voraus. Nun kann er sich seinem Gemüt entsprechend einen ausgefallenen Wunsch erfüllen: "Ich will einmal im Schaukelstuhl sitzen und dabei die Goldmedaille um den Hals haben", hatte er den finnischen Journalisten einen Tag vor dem Wettkampf erzählt. Das Gold hat er. "Jetzt kaufe ich mir einen Kiikkutuoli", wie auf Finnisch "rocking chair" heiße, verkündete Arsi Harju nach seinem Sieg.

Der Schaukelstuhl als Ausdruck seiner Dickfälligkeit, um die ihn seine Konkurrenten beneideten. "Das war mein erster großer internationaler Wettkampf", entschuldigte sich der Zweite, Adam Nelson, für seine Nervosität. Der Amerikaner war mit der Weltbestleistung in dieser Saison von 22,12 Metern der große Favorit. Ihm fehlten acht Zentimeter, seinem Landsmann John Godina, dem Dritten, neun. Oliver-Sven Buder fehlten 111. Nur Achter. Welche Enttäuschung.

Auch Buder war nervös gewesen. "Wie ein Teenager vor dem ersten Rendezvous", räumte er ein. Dabei zählt er seit zehn Jahren zur Weltspitze mit einer Bestleistung von 21,42 Metern. Buder war in Atlanta Fünfter, schon 1991 bei der WM Vierter und jeweils Zweiter bei den beiden letzten Weltmeisterschaften. Ein Wettkampf-Routinier also. Mit den drei gültigen Versuchen - 19,89 - 20,18 - 19,64 - blieb er weit unter seinem Leistungsvermögen.

Aber vielleicht hat der dienstälteste Kugelstoßer der Weltspitze auch den Dreh verpasst. Der Finne und die Amerikaner holten die Medaillen mit der Drehtechnik. Oliver-Sven Buder aber wuchtet die Kugel immer noch ohne Körperdrehung von der Schulter - wie schon Hans Woelke bei seinem Olympiasieg, 1936, bei den Spielen in Berlin.

Hartmut Scherzer

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