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Sport: Kunst, die verändert

Der Weltmeistertitel könnte das Theater um das Paar Sawtschenko/Szolkowy und Trainer Steuer beenden

Wenn er den Kopf drehte, sah Robin Szolkowy die schwarz-rot-goldene Flagge vor sich von der Decke baumeln. Leicht versetzt dazu standen vier Frauen und drei Männer auf dem Eis, in langen Kleidern und schwarzen Anzügen, und sangen mit leichtem Akzent „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Ein Scheinwerferkegel hatte Szolkowy, Aljona Sawtschenko und die anderen auf dem Podest eingefangen, der Rest der Scandinavium-Arena in Göteborg war in Dunkelheit getaucht. Einen feierlicheren Moment gab es nicht an diesem Abend in der Halle, die Nationalhymne wurde allein für Szolkowy und Sawtschenko gesungen, die neuen Eiskunstlauf-Weltmeister im Paarlauf.

Zehn Minuten später tippte Ingo Steuer seinen Athleten Szolkowy an und fragte: „Und? Was hat du auf dem Podest empfunden?“ Szolkowy antwortete fast emotionslos: „Na ja, ich stand halt oben.“ Steuer nickte, er kennt das Gefühl. Er stand selbst ganz oben, vor elf Jahren, mit Mandy Wötzel. Da war er Paarlauf-Weltmeister geworden. Jetzt ist er der Trainer der Paarlauf-Weltmeister. „Du brauchst Tage, vielleicht Wochen, um ganz zu begreifen, was da passiert ist“, erklärt er.

Steuer sitzt jetzt lässig auf einem Barhocker, es ist ein Uhr nachts, in einem Hotel gleich neben dem Scandinavium feiern sie alle den WM-Titel.

Direkt nach dem Triumph hatte er noch ausgesehen wie ein alter Mann, ausgelaugt, mit erschöpftem Blick, die schwarzen Haare zerzaust. Während der Kür von Szolkowy und Sawtschenko war er an der Bande entlanggelaufen wie ein Tiger in seinem Käfig. Dieser Titel hatte unglaublich Kraft gekostet, ihn und sein Paar, sie hatten gegen die starken Chinesen Zhang Dan und Zhang Hao gekämpft, gegen die eigenen Nerven, gegen den Verband, gegen den Bundesinnenministerium. „Es war eine Kampfkür“, sagte Sawtschenko. Sie meinte den 4.45-Minuten-Auftritt am Mittwochabend. Aber symbolisch stand die Kür für den ganzen Stress der vergangenen zwei Jahre.

Den Titel hatten sie aber nur deshalb gewonnen, weil sie auf dem Eis alle Spuren von Kampf, von Anstrengung, von verkrampftem Bemühen tilgen konnten. Zwei schwere technische Fehler waren ihnen unterlaufen, das hätte eigentlich das Ende der WM-Träume bedeutet, aber sie glichen das mit unvergleichlicher ästhetischer Darstellung aus. Ein Preisrichter sagte: „Die zeigen Kunst von der ersten Sekunde an auf höchstem Niveau. Pirouetten, Schritte, Übergänge, alles exzellent, und außerdem kommt immer noch etwas Neues, etwas Unerwartetes.“ Und als Höhepunkt, nach vier Minuten Höchstleistung, noch der Dreifach-Wurflutz, ein spektakulärer, ein weltweit einmaliger Schlusspunkt. „Das ist“, sagte der Preisrichter, „als würde einer beim 10 000-Meter-Lauf die letzten 100 Meter in 10,8 Sekunden laufen.“

Wird sich denn, Herr Steuer, durch den WM-Titel ihre Position im Streit mit dem Verband ändern? Herr Steuer lehnt sich auf seinem Hocker etwas zurück und sagt: „Nein.“ Sie könnte sich aber doch verändern, schleichend vielleicht, aber vermutlich dennoch wirkungsvoll. Sie wird sich zugunsten des Chemnitzer Trios verändern. „Wetten, dass ..?“ zeigt Interesse an ihnen, das ZDF-Sportstudio lud die Weltmeister für Samstagabend ein. Sie mussten absagen, weil sie da beim Gala-Diner bei der WM speisen müssen. Ein Sportchef der ARD redete in Göteborg nach dem Triumph mit Ottavio Cinquanta, dem Präsidenten des Weltverbands ISU über TV-Übertragungsrechte. Zwei Grand-Prix-Wettbewerbe, so die Überlegung, könnten in der nächsten Saison von der ARD übertragen werden. Die Zuschauer sollen das Weltmeister-Paar genießen können. Je stärker das Interesse am Sport wird, desto nebensächlicher erscheint in der öffentlichen Wahrnehmung der verworrene, juristische Streit, den sowieso kein Mensch mehr versteht. Und desto größer wird der Druck, das ganze Theater um eine öffentlich geförderte Bezahlung von Steuer zu beenden. Zugunsten des Trainers der Weltmeister, versteht sich.

Und dann muss die in Kiew geborene Aljona Sawtschenko vor dem Millionenpublikum von „Wetten, dass ..?“ nur wiederholen, was sie in Göteborg durchaus glaubhaft sagte: „Für mich war es ein großer Traum, für Deutschland zu starten und für Deutschland Gold zu gewinnen.“ So redet man sich in die Herzen der Fans. Jeder Satz ein weiterer kleiner Stich gegen jeden, der von dem Trio als Gegenspieler eingestuft wird.

Sawtschenko und Szolkowy kassieren durch den WM-Titel und ihre exzellente Saisonbilanz 135 000 Dollar. Zugleich erhält aber auch die Deutsche Eislauf-Union erheblich mehr Fördergeld als bisher. Doch bis das eintrifft, wird gespart, und zwar eisern. Angestoßen auf die Weltmeister wurde mit billigem Sekt in besseren Senfgläsern.

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