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Sport: Kurz vor Dortmund

Die Italiener setzen auf den Heimvorteil: Ihr WM-Quartier liegt in Duisburg. Ein Besuch

Auf dem Parkplatz vor dem Duisburger Wedaustadion ist die schwarz-rot-goldene Fahnenhoheit ernsthaft gefährdet. Die Autos hier haben Grün-Weiß-Rot geflaggt, sie kommen aus Duisburg, Oberhausen, Mühlheim oder Essen. Weiter vorn, am Eingang zum Stadion, stehen die italienischen Fans, die Tifosi, in ihren blauen Trikots. Als Gennaro Gattuso und Gianluca Zambrotta in einer Limousine vorfahren, wird es laut in der Duisburger Mittagshitze. Beide winken sie kurz und bahnen sich ihren Weg ins Stadion. Jeder Auftritt in Duisburg ist ein Heimspiel für die Italiener. Auch und erst recht heute vor dem Halbfinale gegen Deutschland.

„Westfalenstadion – che Fortuna!“ titelt die „Gazzetta dello Sport“. Die Italiener freuen sich, dass sie in Dortmund spielen dürfen, nicht einmal hundert Kilometer von ihrem Duisburger Quartier entfernt. Anders als die aus Berlin anreisenden Deutschen müssen sie nicht umziehen.

Am Duisburger Wedaustadion jubeln draußen die Fans, drinnen liegt ein kleines Stück exterritoriales Italien. Die Federazione Italiana Giuoco Calcio hat das Tribünengebäude für die gesamte WM gemietet und zur „Casa Azzurri“ umgebaut: eine riesige Espressobar mit viel Chrom und Blumen auf drei Ebenen, die Kellnerinnen kommen aus Venetien. Alle fünf Meter stehen Fernsehgeräte, hier läuft das italienische Satellitenprogramm von „Sky Italia“ , dem Sender, dessen Kameraleute das Scharmützel zwischen Torsten Frings und dem Argentinier Julio Cruz nach dem Viertelfinale eingefangen haben. Die Szene scheint in der Endlosschleife zu laufen. „Gennaro, was sagst du zu Frings? Darf er gegen euch spielen?“, fragt ein italienischer Journalist bevor bekannt wird, dass Frings für ein Spiel gesperrt ist.

Doch der Mailänder Gattuso sagt lieber nichts, „ich denke mir schon meinen Teil, aber das behalte ich für mich“. Bloß keine Provokationen. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien ist ein wenig angespannt, seit „La Repubblica“ ihren Lesern einen Artikel aus „Spiegel online“ übersetzt hat, in dem die Italiener nicht besonders gut wegkommen. Dass ausgerechnet ein italienischer Sender die Bilder liefert, die Frings belasten, wird nicht gerade zur Vertiefung der Völkerfreundschaft beitragen. Also schweigt Gattuso.

Auch Gianluca Zambrotta mag sich nicht äußern zu Torsten Frings. Der Verteidiger von Juventus Turin kennt das Gefühl, in einem wichtigen Spiel nicht dabei sein zu dürfen. Vor sechs Jahren hat er im EM-Halbfinale gegen die Niederlande schon nach einer halben Stunde wegen einer Gelb-Roten Karte den Platz verlassen müssen. Schiedsrichter war der Deutsche Markus Merk. Zehn Italiener gewannen noch nach Elfmeterschießen, aber im Endspiel fehlte Zambrotta, und wie er fehlte. Bis in die Nachspielzeit führte Italien 1:0, ein Abwehrfehler ermöglichte Frankreich den Ausgleich und später den Sieg durch Golden Goal. Zambrotta saß hilflos auf der Tribüne.

Sechs Jahre ist das jetzt her. Damals hat Zambrotta noch mit Gianluca Pessotto in der Nationalmannschaft gespielt. „Pessottino“, wie sie ihn in Turin nennen, war einer von denen, die ihren Elfmeter im Halbfinale verwandelten. Zur neuen Saison sollte er Juventus Turin als Teammanager betreuen, doch vor einer Woche sprang er aus dem Fenster des Klubhauses, einen Rosenkranz in der Hand. Zambrotta ist sofort nach Hause geflogen und hat den Freund am Krankenbett besucht. Zwei Tage später schoss er im Viertelfinale das wichtige 1:0 gegen die Ukraine. Es war sein zweites Tor für die Nationalmannschaft, und er hat es Pessotto gewidmet.

Jetzt sitzt er nachdenklich in der Casa Azzurri, die Arme vor der Brust verschränkt, den Kragen des Polohemdes hochgeschlagen, dass er den Dreitagebart ein wenig verdeckt. Zambrotta äußert sich höflich über die Deutschen, „wer es bis ins Halbfinale schafft, muss eine große Mannschaft sein“. Ein Reporter will wissen: „Kennst du diese deutschen Spieler? Schneider oder Schweinsteiger“, er liest die Namen mit einiger Mühe vom Papier ab. „Si, si, Schweinsteiger“, antwortet Zambrotta, er hat mit Juventus in der Champions League gegen ihn und den FC Bayern gespielt, „ein guter Techniker.“

Mit seinem Turiner Kollegen Fabio Cannavaro ist Zambrotta in der italienischen Viererkette dafür zuständig, den technisch begabten Spielern des Gegners allenfalls ein Minimum an Spielraum zu gewähren. Die Globalisierung des Fußballs mag verursacht haben, dass Mannschaften wie der AC Mailand heute genauso offensiv spielen wie Barcelona oder Arsenal, aber die italienische Nationalmannschaft wahrt ihre Tradition und betont gern das defensive Element. Vereinfacht ausgedrückt: In Italien steckt sehr viel mehr Juventus als Milan. Das sieht nicht immer schön aus, aber schön haben italienische Nationalmannschaften selten gespielt, auch nicht 1982 beim letzten Weltmeistertitel, perfekt gemacht durch ein 3:1 im Finale gegen Deutschland. Gianluca Zambrotta hat damals vor dem Fernseher gesessen, „ich war gerade fünf Jahre alt und weiß noch, dass die WM ein großes Fest für uns war“.

Der italienische Held war Torjäger Paolo Rossi, doch für die wichtigste Arbeit waren andere zuständig, die Turiner Verteidiger Gaetano Scirea und Claudio Gentile. In ihrer Tradition steht Gianluca Zambrotta bei Juve, aber wer weiß schon, was die Zukunft bringt. Juventus wird wegen Manipulationen wahrscheinlich in die zweite Liga strafversetzt, das wäre das Ende einer großen Mannschaft, angeblich ist Real Madrid an Zambrotta interessiert. „Das ehrt mich, aber ich habe einen Vertrag mit Juventus“, und erst einmal stehe ohnehin die WM im Mittelpunkt. Dann verlassen Zambrotta und Gattuso die Casa Azzurri, vorbei geht es an den grün-weiß-roten Fahnen auf dem Parkplatz des Wedaustadions. Noch hundert Kilometer bis nach Dortmund.

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