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© dpa

Lance Armstrong: Ein Texaner kennt keine Hindernisse

Der drittplatzierte Lance Armstrong herrschte über die Tour de France und arbeitet an seinem Image für die Zukunft.

Kann er nichts anderes als Fahrrad fahren oder will er bloß nichts anderes tun? Lance Armstrong hat sich noch nicht einmal den Staub von knapp 3500 Kilometern über Frankreichs Landstraßen aus den Kleidern gebürstet, da lechzt er schon nach mehr. "Ich freue mich auf die Leadville 100", twitterte er. Mit diesem Mountainbike-Rennen hatte Armstrong im letzten Spätherbst sein Comeback eingeleitet. Armstrong blickt sogar schon auf die kommende Saison voraus. Wenn er zu Hause sei und einen "Berg anderer Arbeit erledigt" habe, will er "die abgelaufene Saison durchgehen und gucken, was in Hinsicht Rennkalender, Vorbereitung und Material zu ändern ist", ließ Armstrong noch im Zug von der Provence nach Paris verlauten. Er hat einfach nicht genug vom aktiven Radsport.

Noch während der Tour kündigte er etwas wurstig sein neues Teamprojekt RadioShack an. "Ist's schon draußen?", fragte er erst nach. Dann nannte er den in Austin beheimateten Sponsor, der unter Elektronik-Nerds in den Achtzigerjahren ziemlich beliebt war, weil man sich dort das Equipment zum Abhören des Polizeifunks und zum - heimlichen - Beobachten der brandneuen Tarnkappenbomber der US Air Force besorgen konnte. Selbst die Ufo-Szene rüstete sich mit RadioShack-Bauteilen aus. Das passt ganz gut zum Profiradsport; schließlich lassen die hoch gezüchteten, dank Wachtumshormon oft mit Pferden ähnlicher Physiognomik ausgestattenen Superathleten an eine nur noch menschenähnliche Spezies denken. Armstrongs Team RadioShack kann man dann also mit dem Material des Sponsors begutachten - welch feine Wendung.

Wie ernst es Armstrong mit dem Rennstall ist, ist noch ungewiss. Soll es die Radvariante der Harlem Globetrotters sein mit einem Star, der dort antritt, wo Aufmerksamkeit zu holen ist? Das Jahr 2009 hatte für Armstrong mehr ein Show- als ein Wettkampfprogramm geboten. Anders als in seinen strikt auf die Tour ausgerichteten Jahren, in denen er sich erst im Juni richtiger Konkurrenz gestellt hatte, war er seit Jahresanfang über drei Kontinente getingelt und hatte die Rennen danach ausgewählt, welches Publikum sich für die doppelte Botschaft von Armstrong sowie seiner Krebsstiftung und Kommerzplattform Livestrong erreichen ließ. Allerdings beeinträchtigte sein Sturz im Frühjahr eine wettkampfhärtere Vorstellung.

Der neue Rennstallmitbesitzer will die Tour 2010 als Fahrer bestreiten. Sein neuer Sponsor hat sogar schon die Teilnahme von Team RadioShack verkündet. Beim Tourorganisator ASO stößt man auf ein feines Lächeln, wenn man danach fragt. "Das ist noch viel zu früh. Wir haben noch gar kein Team für die nächste Tour eingeladen. Warten wir einmal, wie dieses Team aufgestellt sein wird", sagt der Organisationschef der ASO, Philippe Sudres. Soviel ist sicher: Titelverteidiger Contador wird nicht dazu gehören.

Mit großen Hindernissen muss Armstrong aber wohl nicht rechnen. Das ASO-Hausorgan "L'Equipe" feierte seine Verteidigung seines dritten Platzes am Mont Ventoux mit der Titelzeile "Chapeau, le Texan!". Das verwundert doppelt. Denn Armstrongs Vorstellung am mythischen Berg war vor allem von Sachlichkeit geprägt. Wie anders hatten die meinungsbildenden Franzosen, die jetzt den Hut voller Ehrfurcht lüften, noch reagiert, als Armstrong das letzte Mal eine Tour de France beendet hatte. Sie brüllten ihm das Schimpfwort Doper in den Ruhestand hinterher. Aber vielleicht sind Franzosen tatsächlich so gestrickt, wie Tourchef Christian Prudhomme es ausländischen Journalisten weismachen will: "Die Franzosen mögen nicht den Ersten. Sie halten es eher mit dem unglücklichen Verlierer oder dem, der sich abrackert." Wird Armstrong nun gleich zu Raymond Polidour? An Podiumsplatzierungen hat der Ex-Seriensieger Armstrong mit seinem aktuellen dritten Platz mit dem ewigen Tour-Zweiten Polidour tatsächlich gleichgezogen. Und ja, er wird fast schon mit der gleichen Herzlichkeit gefeiert wie der weißhaarige Tour-Opi "Poupou".

Die denkwürdigste Armstrong-Feierlichkeit leisteten sich im Verlauf der Tour die Transparente-Maler, die den Obama-Wahl-Spruch "Yes, we can" in ein "Lance, we can" ummünzten. Was verbindet einen selbst- und rachsüchtiger Ex-Radsportpatron aus Texas mit der zwar schon ramponierten, aber immer noch vorhandenen Hoffnung auf neue Liberalität im einst ausgerechnet von Texanern in die moralische Steinzeit transferierten Amerika? Pikant ist, dass Greg LeMond, Antidoping-Aktivist und Intimfeind von Armstrong, seine doping-kritischen Kolumnen in der "Le Monde" mit der Dachzeile "Yes, we can" versah. Was man alles können kann, wenn ein Slogan erst in der Welt ist.

Zu vermuten ist, dass Armstrong dem Radsport noch eine ganze Weile erhalten bleibt. Nach Beobachtung US-amerikanischer Journalisten bei der Tour de France findet er kein anderes Gefäß für seinen Ehrgeiz als den Radsport. Die Geschäftsplattform Livestrong ist von seiner Präsenz als radelnder Werbeträger abhängig. Mit einer politischen Karriere, wie in Europa gemutmaßt wird, sei es ohnehin nicht weit her. "Um gewählt zu werden, muss man erst einmal nachweisen, selbst an Wahlen teilgenommen zu haben. Ich glaube nicht, dass Armstrongs Voting Record sehr umfangreich ist", verrät eine Kollegin. "Lance auf den Champs-Élysées wird vermutlich ähnlich lang geben wie einst Dallas."

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