zum Hauptinhalt

Sport: Lange Strecke ins Leben

Ende letzten Jahres joggte Klaus Hoffmann das erste Mal durch Berlin. Er lief über Straßen, auf Gehwegen und durch Parks.

Ende letzten Jahres joggte Klaus Hoffmann das erste Mal durch Berlin. Er lief über Straßen, auf Gehwegen und durch Parks. Kreuz und quer durch die Stadt, ohne Ziel und ohne Route. "Es war ein geiles Gefühl, so frei zu laufen, wohin ich wollte." Für die meisten ist das selbstverständlich. Für den 34-Jährigen nicht. Erst im Oktober 2001 wurde er nach über dreijähriger Haft aus der Justizvollzugsanstalt Tegel entlassen. Danach kam er in eine Übergangseinrichtung für ehemalige Drogenabhängige. Da durfte er anfangs nur in Begleitung raus. Später dann zum Joggen auch alleine. Zurzeit wohnt Hoffmann im "Krisenhaus", einer sozialpädagogischen Einrichtung in Hohenschönhausen. Dort teilt er sich ein Zimmer mit einem anderen Bewohner und wartet auf seinen vorgeschriebenen Drogen-Therapieplatz Ende Mai. Obwohl er seit zweieinhalb Jahren clean ist, sieht er die 90 Tage Therapie als Hilfe an. Die andere Hilfe ist der Sport. "Laufen hält mich von den Drogen ab."

Hoffmanns großer Traum ist der Berlin-Marathon im kommenden Herbst. Letztes Jahr hat er sich das Rennen fast drei Stunden lang im Fersehen angesehen. Da saß er noch im Gefängnis. "Die anderen fanden es zu langweilig, aber ich habe mich gegen meine Mithäftlinge durchgesetzt", sagt er und grinst. Den halben Schritt zum Marathon will er am heutigen Sonntag um 10 Uhr machen - beim 22. Berliner Halbmarathon. Seinem ersten großen Rennen. Das Startgeld konnte er gerade mal eben zusammenkratzen. "Sonst hätte ich als ehrenamtlicher Helfer mitgemacht, Bananen aufreihen und so."

Auch das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Denn der gebürtige Kölner, der bei seinem Onkel aufwuchs - einem Einbrecher, die Tante verdiente Geld als Prostituierte - war etwa zehn Jahre heroin- und kokainabhängig. Als er 1998 in Tegel eingeliefert wurde, wog der etwa 1,70 Meter große Mann gerade mal 47 Kilo. Zwei Kilo weniger und er wäre haftunfähig gewesen. Das war ihm damals aber alles egal. "Man lebt als Süchtiger nur bis zum nächsten Schuss." Und um den besorgen zu können, muss man Geld herbeischaffen. In Tegel saß er wegen schweren Raubes und schwerer Körperverletzung.

In seiner Suchtkarriere habe Hoffmann schon 50 Mal versucht, vom Heroin und Kokain wegzukommen. Einmal kam er nach einer Entziehung nach Hause zu seiner Freundin, und auf dem Tisch lag eine aufgezogene Spritze mit Heroin. Als Wiedersehensgeschenk. "Aber wenn man es selbst nicht wirklich will, klappt es nie", sagt er heute. Dann kam der 19. August 1999. Hoffmann hatte sich mit einem Wärter angelegt und saß deshalb für zwei Wochen im "Bunker", einem kargen Raum mit Toilette, betoniertem Waschbecken und betonierter Pritsche. Kein Fernseher, kein Radio, keine Kommunikation, eine Stunde Ausgang pro Tag. Obwohl er dort schon zum achten oder neunten Mal saß, ging an diesem Tag etwas in ihm vor. Er dachte über sein bisheriges Leben nach und entschloss sich, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Er erkannte die Drogen als Hauptproblem. Davon wollte er von nun an die Finger lassen. Gleichzeitig wollte er etwas Sinnvolles für seinen Körper machen. Und da andere Sportarten wie Fußball, Volleyball oder Tischtennis in Tegel nur einmal pro Woche angeboten wurden, fing er an zu laufen. "Man braucht einfach eine Ersatzdroge, wenn man von dem Zeug wegkommen will", sagt der sehnige Mann. So drehte er im Gefängnis fünf bis sechs Mal pro Woche ein bis zwei Stunden seine Runden. Entweder auf dem Freistundenhof, in der Größe eines Fußballplatzes, oder auf dem Einzelhof: asphaltierter Boden, ein bisschen Grün, sonst nur von grauen Betonhäusern umgeben. Den Einzelhof hat Hoffmann ausgemessen. Es sind 75 Meter, immer im Kreis. "Manchmal habe ich alle 30 Minuten die Richtung gewechselt, manchmal bin ich auch zwei Stunden in einer Richtung gelaufen." Das erste Mal hielt er allerdings nur 11 Minuten durch. Alles tat ihm weh. Doch den Schmerz habe er eher genossen, "weil ich spürte, dass in meinem Körper etwas passierte", sagt Hoffmann. Er fing an, Zeitschriften und Bücher über das Laufen und die richtige Ernährung zu lesen. Vollkornbrot statt Weißbrot und viel Kohlenhydrate.

Das Laufen half. "Man lernt Disziplin", sagt Hoffmann. So hielt er sein Vorhaben durch und bekam Vergünstigungen. Er wurde in einen saubereren Haftbereich verlegt, half als Insassenvertreter und durfte in den gefängniseigenen Betrieben arbeiten. Von dem verdienten Geld ließ er sich die Zähne richten. Schließlich wurde er am 29.10.2001 zweieinhalb Jahre früher entlassen.

Mittlerweile hat Klaus Hoffmann sämtlichen Kontakt zu den früheren Freunden und Verwandten abgebrochen. Vor seiner Zukunft hat er keine Angst. Genauso wenig wie vor den strapaziösen 21 km des Halbmarathons. "Ich komme auf jeden Fall durch", sagt er und strebt eine Zeit von zwei Stunden an. Aber auch, wenn das nicht klappen sollte: Weiterlaufen wird er auf jeden Fall.

Der Berliner Halbmarathon startet heute um 9.30 Uhr an der Karl-Marx-Allee unweit des Alexanderplatzes. Autofahrer sollten die Berliner Innenstadt zwischen Alexanderplatz, Spandauer Damm, Kurfürstendamm und Kochstraße deshalb mindestens bis 13 Uhr meiden.

Jörg Petrasch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false