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Sport: Lass’ dich drücken

Die deutschen Volleyballer triumphieren, weil frustrierte Solisten zu Teamplayern geworden sind.

Berlin - Der Ball knallte nicht mal mit Urgewalt ins Feld der Tschechen, aber er fiel auf den Boden, präzise geschlagen, das war wichtig, Punkt für Deutschland, Punkt durch Jochen Schöps, den Diagonalangreifer; die deutschen Volleyballer lagen nur noch 20:21 im dritten Satz zurück. Schöps war gerade aufs Feld gekommen, ein paar Minuten später stand er schon wieder draußen, aber in der Zwischenzeit hatte er drei Punkte gemacht und damit die Wende eingeleitet. Deutschland gewann den Satz, später auch das Spiel. 3:1, das Team von Bundestrainer Vital Heynen hatte den Sprung zu den Olympischen Spielen geschafft.

Fünf Minuten nach dem grandiosen Triumph am Sonntag in der Berliner Schmeling-Halle drückte Georg Grozer seinen Teamkollegen Schöps an sich, er wollte ihn gar nicht mehr loslassen, Diagonalangreifer herzt Diagonalangreifer. Zeichen des Teamgeistes, der in dieser Mannschaft herrscht. „Wir sind nicht neidisch aufeinander“, sagte Grozer. „Jochen hat die Wende im dritten Satz gebracht.“ Viele der anderen Big Points besorgte Grozer.

Die Deutschen sind zum Team geworden, das ist der Hauptgrund für diesen Erfolg. Heynen hatte bloß sechs Wochen, in denen er wirklich mit dieser Mannschaft arbeiten konnte, viel zu wenig, um spieltaktisch oder technisch wesentliche Spuren zu hinterlassen. Seine Arbeit ist an der Psyche abzulesen. Als noch Raul Lozano, der beratungsresistente Argentinier, Bundestrainer war, dirigierte er zum Schluss nur frustrierte Solisten.

Heynen im Training: Da ist einer, der ständig redet und korrigiert, der lockere Sprüche macht und doch alles sieht, der hochprofessionell erklärt und die Spieler permanent mit neuen Ideen überrascht. Ein Jahr, sagt der Belgier, benötige er, bis seine Mannschaft sein System vollständig umgesetzt habe. Das ist das strategische Ziel, das kurzfristige ist die Schadensbegrenzung. Harte Sprungaufgaben, mit denen der Gegner unter Druck gesetzt wird, galten bisher als bevorzugte Waffe. Das bedeutet aber auch Risiko, und solche Aufgaben funktionieren nur, wenn Spieler selbstbewusst auftreten. Bei der EM, unter Lozano, ging es schief, Fehlerquote im letzten Spiel: 25 Prozent.

Heynen will kein grenzwertiges Risiko, er will nicht um jeden Preis brachiale Aufschläge, er will kontrollierte Bälle. Lieber weniger Kraft und dafür mehr Sicherheit. Und er redet ganz pragmatisch. Keine Mannschaft kann das ganze Feld abdecken; wenn der Gegner präzise schlägt, hat man keine Chance, so ist das halt. Damit nimmt er den Spielern Druck, verpflichtet sie aber zugleich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles zu geben.

Selbstverständlich setzt Heynen aber auch auf Konkurrenzkampf. „Keiner von denen, die hier feiern, weiß, wer in London dabei ist“, sagte er, während seine Spieler glückselig jubelten. Robert Kromm hatte er am Freitag aus dem Kader gestrichen. Entsprechend enttäuscht ist der Neuzugang der BR Volleys.

In London hängt viel von der Auslosung ab. Welche Gruppengegner hat Deutschland? Derzeit kursieren die Namen Brasilien, Russland, USA, Serbien, Tunesien. Offiziell ist aber noch nichts. Die Chancen der Deutschen? Schwer einzuschätzen. In der ersten Olympiaqualifikation unterlagen sie im Finale dem Weltranglisten-Dritten Italien erst im Tiebreak, und das knapp. Ein starker Auftritt, nur sagt der wenig aus. Olympia bedeutet eine ganz andere Drucksituation. Die psychische Belastung, gerade für Olympia-Neulinge, ist gewaltig. Heynen war auch noch nie bei Olympia, er hat seine ganz eigene Art, mit dem Thema umzugehen. „Ich denke jetzt noch überhaupt nicht an London“, sagte er am Sonntag. „Nur daran, was am Dienstag ist.“

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