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Sport: Lauf ohne Energie

Anni Friesinger wird über 1500 Meter nur Vierte – Cindy Klassen siegt

Das Gefühl von Ohnmacht ist wohl das schrecklichste, das eine Eisschnellläuferin verspüren kann. Sie will laufen, sie hat gut trainiert. Doch die Kraft verlässt sie, die Beine werden schwer, sie kommt nicht mehr von der Stelle. Anni Friesinger hat diesen Albtraum im olympischen „Oval Lingotto“ von Turin am frühen Mittwochabend erlebt. Auf der 1500-Meter-Strecke, auf ihrer Gold-Distanz der Spiele von Salt Lake City 2002, auf der Strecke, auf der sie in Turin endlich im Einzelwettbewerb siegen wollte, belegte die 29-Jährige nur den vierten Rang. Wieder verloren. Es war Friesingers dritte schmerzhafte Niederlage bei den Winterspielen 2006 nach Rang vier über 3000 und Rang drei über 1000 Meter. Gold über 1500 Meter gewann Cindy Klassen aus Kanada in einer Zeit von 1:55,27 Minuten mit 1,47 Sekunden Vorsprung auf ihre mit Silber dekorierte Teamkollegin Kristina Groves. Bronze ging an Ireen Wüst aus Holland (1:56,90).

Völlig entkräftet kam Friesinger ins Ziel, sie schnappte nach Luft und ihr Trainer Markus Eicher musste sie stützen. Die 29-Jährige war im vorletzten Paar zusammen mit Weltrekordlerin Klassen gestartet – Friesinger war fast zwei Sekunden langsamer als die Rivalin. „Ich konnte nichts entgegensetzen, ich hatte keine Energie. Das ist sehr enttäuschend“, sagte Friesinger, als sie wieder Luft zum Sprechen hatte. „Ich fühlte mich total ohnmächtig.“ Eicher, ebenfalls geknickt, meinte: „Anni hat die 1500 Meter zusammen mit Cindy Klassen in den letzten Jahren beherrscht. Da ist es besonders bitter, keine Medaille zu gewinnen.“ Überhaupt hatten Friesingers Einzelauftritte in Turin etwas Tragisches. Sie kam in bester Form zu den Spielen, mit dem Ziel mindestens eine Goldmedaille zu gewinnen. Doch kaum war sie angekommen im Piemont, klagte sie über Atemnot und darüber, dass sie kein Gefühl für das Eis habe.

Ja, und dann gab es da noch den Teamwettbewerb, in dem Friesinger in der vergangenen Woche zusammen mit Claudia Pechstein und Daniela Anschütz-Thoms Gold gewonnen hatte. Drei Läufe á vier Runden hatte Friesinger absolviert, dabei die meiste Führungsarbeit geleistet. „Im Team habe ich die Kraft gelassen, aber das war es mir wert“, erklärte Friesinger. Was soll sie jetzt auch sagen? Natürlich sind für die Einzelkämpferinnen, auch wenn sie es nicht so offen zugeben, Mannschaftssiege im Grunde nur ein hübscher Dekor. Klassen, die neben ihrem Gold über 1500 Meter auch Bronze über 3000 und Silber über 1000 Meter gewonnen hat, machte daraus keinen Hehl. In Absprache mit ihrem Trainer startete sie nur in zwei Teamläufen. Dass die Kanadierinnen nur Zweite im Mannschaftswettbewerb wurden, nahm das Team in Kauf.

Vielleicht hat Friesinger ihre Kräfte überschätzt. „Wir haben im Januar sehr viel trainiert. Das ist nicht aufgegangen. Ich muss mich hinterfragen“, sagt Coach Eicher. Friesinger scheint mit den Spielen in Turin abgeschlossen zu haben. Ihren für Samstag geplanten 5000-Meter-Start wird sie voraussichtlich absagen. „Es kann durchaus sein, dass ich mich ins Turiner Nachtleben stürze“, kündigte sie an.

Christiane Mitatselis[Turin]

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