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Stimmungsaufheller. Joanna Zybon (rote Jacke, Mitte) nutzt mit ihrer Gruppe die angenehmen Effekte des Laufens.

© Thomas Sommerfeld

Laufen als Therapie: Ausdauer für die Seele

Beim Berliner Halbmarathon stehen vor allem die Laufzeiten im Vordergrund, doch Laufen kann auch als Therapie bei chronischem Stress, Übergewicht und anderen Krankheiten helfen. Ein Besuch bei einer Lauftherapeutin und ihrem Kurs.

Fast eine Runde haben sie durch den Volkspark Rehberge gedreht, knapp drei Kilometer, dann bekommt ihr Gemüt eine erste Verschnaufpause. Die Läuferinnen haben sich Frühlingsgedichte ausgesucht, jede liest nun eines vor, während ihre Laufschuhe die Schneedecke unter ihnen plattdrücken. Zu siebt stehen sie im Kreis, manchmal lachen sie zusammen, wenn ein Gedichtvers den Frühling besonders blühend beschreibt, aber ihre Blicke am Karfreitag im Park weit und breit noch keine Blume finden. Dann setzten sie sich wieder in Bewegung.

Manche aus der Gruppe bereiten sich auf den Halbmarathon vor, der an diesem Sonntag über die Straßen von Berlin führt. Aber im Grunde geht es ihnen beim Laufen um mehr. Sie wollen zu Fuß etwas verändern, bei manchen ist es einfach das Gewicht, andere wollen ihre Gesundheit stärken nach einem Burn-out oder einer depressiven Verstimmung. Sie haben sich daher einem Kurs von Joanna Zybon angeschlossen, die 42 Jahre alte Berlinerin ist eine von 500 ausgebildeten Lauftherapeuten in Deutschland.

Lauftherapie gibt es in Deutschland seit 25 Jahren. Aber man könnte meinen, dass sie gerade so gut in die Zeit passt wie nie zuvor. Denn Lauftherapie richtet sich zwar an viele, aber sie ist auch bestens geeignet für alle, die unter Belastungen und Druck leiden, für chronisch Gestresste. Lauftherapie wurde auch nicht von Trainern erfunden, sondern von Psychologen aus den USA. Längst haben wissenschaftliche Studien gezeigt, dass Laufen nicht nur körperlich viel bewegen kann, sondern auch die Konzentration fördert, das Gedächtnis verbessert und die Stimmung aufhellt. Wenn die Seele außer Puste gekommen ist, kann ihr ein maßvolles Lauftraining wieder zu mehr Ausdauer verhelfen.

Barbara Rheinefeld (Name geändert) ist dabei gerade auf einem guten Weg. Der Halbmarathon ist für die Mittvierzigerin noch zu weit, aber sie schafft es nach einem halben Jahr schon, eine Stunde ohne Pause durchzulaufen. Das ist eine lange Zeit für eine, die sich als Sportidiotin bezeichnet und davon erzählt, dass sie in der Schule lange sitzen musste, bis sie bei Ballspielen in eine Mannschaft gewählt wurde. „Ich hatte beim Sport immer das Gefühl, dass ich alles aufhalte und alle anderen auf mich warten mussten.“ Im vergangenen Jahr hat sie mit dem Laufen in Einzelstunden mit Joanna Zybon angefangen. Die Lauftherapeutin machte sie darauf aufmerksam, dass ihr Laufstil einiges über ihr Verhältnis zum Sport ausdrücke. Rheinefeld lief vornübergebeugt, den Blick immer nach unten. „Ich bin so gelaufen, als ob ich mich vor anderen verstecken wollte.“

Gespräche machen den Unterschied zwischen Lauftraining und Lauftherapie aus.

Das Wichtigste waren jedoch die Gespräche. „Ich konnte mich ganz anders öffnen“, sagt Rheinefeld und erzählt von beruflichem Stress und einer cholerischen Vorgesetzten. Dass manche in Bewegung ihren belastenden Gedanken freien Lauf lassen, diese Erfahrung macht Joanna Zybon regelmäßig: „Man ist beim Laufen viel entspannter, weil man einen anderen Hormoncocktail im Blut hat.“ Auf dem Weg durch den Volkspark Rehberge lässt sie sich jetzt etwas zurückfallen und beginnt am hinteren Ende der Gruppe mit einer anderen ein Gespräch. „Ich teile mir die Laufeinheit so ein, dass ich mit jedem reden kann. Das Kostbare an der Lauftherapie ist das, was zusammen geschieht.“

Die Gespräche machen einen Unterschied zwischen klassischem Lauftraining und Lauftherapie aus. Auch auf das Training bei bestimmten Krankheitsbildern werden Lauftherapeuten in ihrer eineinhalbjährigen Ausbildung vorbereitet, etwa Laufen mit Diabetes oder Bluthochdruck. Manche Lauftherapeuten kommen ohnehin aus sozialen und therapeutischen Berufen.

Joanna Zybon versteht sich als Gesundheitsmanagerin ihrer Läuferinnen und Läufer. Nach jedem Treffen verteilt sie Hausaufgaben, individuelle Trainingseinheiten, die jeder in der Woche alleine ablaufen soll. Die Leistungsunterschiede in der Gruppe sind nicht zu übersehen, aber alle laufen zusammen in einem Wohlfühltempo, in dem sie sich noch gut unterhalten können. Wer besser trainiert ist, hängt am Ende einfach noch zwei Runden durch den Park dran. „Vergleicht euch nicht mit anderen, vergleicht euch nur mit euch selbst“, sagt Joanna Zybon der Gruppe immer wieder. Nur so können ihre Teilnehmer ein Selbstwertgefühl aufbauen.

Manche, die sich bei ihr anmelden, können am Anfang noch nicht einmal eine Minute am Stück traben. Zybon will sie auf eine Laufzeit von 30 bis 60 Minuten ohne Unterbrechung führen. „Der innere Schweinehund ist manchmal ein ziemliches Monster“, sagt sie. Es geht ums Durchhalten, aber eben nicht nach straffen Trainingsplänen. „Ganzheitliche Verführung“, nennt Joanna Zybon ihr Konzept, weil sie die Gruppe zum Beispiel an diesem Tag erst einmal Ostereier suchen, dann Gedichte vortragen und später noch blaue Frühlingsbänder in die Bäume hängen lässt. Die Sinne sollen mitlaufen und zur Lauftherapie gehören immer wieder Überraschungen: Bei einem der letzten Male haben sie im Park ein kleines Messerwerfen veranstaltet.

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