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Sport war seine Motivation. Das gab Harry an unseren Kolumnisten weiter.

© dpa

Kolumne: So läuft es: Abschied von Harry

Harry war ein Bär von einem Mann, eine Seele von Mensch. Und er brachte unseren Kolumnisten zum Laufen. Nun ist Harry verstorben. Ein Nachruf.

Vor einigen Tagen erreichte mich eine Nachricht von Tom. Eine der traurigsten Nachrichten seit sehr langer Zeit. Tom schrieb: „Hallo Mike, auch wenn wir viele Jahre keinen Kontakt mehr hatten, ist es mir ein Bedürfnis dir zumindest mitzuteilen, dass mein Vater gestern nach sechs Jahren Kampf dem Krebs erlegen ist. Noch vor ein paar Wochen haben wir über deinen Erfolg und deine Kolumne gesprochen. Er hat also immer an dich gedacht, und deinen Weg aus der Ferne beobachtet.“ Ich saß gerade in einem Toto-Konzert, als mich die Nachricht erreichte. Toto spielten „Hold the line“, ich weinte. Ich hatte Harry verloren. Er war mein Mentor beim Radio. Er war mein Retter in der Not. Er war ein väterlicher Freund. Ohne Harry wäre ich niemals da, wo ich heute bin. Nicht was den Beruf angeht, und ich wäre wohl niemals gelaufen.

Es war 1992. Ich war 22 und fest davon überzeugt, Radiomoderator werden zu wollen. Beim ersten Privatsender im Saarland bekam ich eine Chance, ich durfte eine Probesendung bei Radio Salü machen. Harry war Chef vom Dienst, zuständig für Moderatoren, aber vor allen Dingen war er ein Bär von einem Mann, und eine Seele von Mensch. Ich habe nie einen Menschen mit mehr Herz kennengelernt als Harry. Mit seiner Berliner Schnodderschnautze brummte er kurz vor der Sendung durch seinen unfassbar dichten Bart: „Keen Grund uffjeregt zu sein, Kleener. Ick bin ja da, wa?“ Mit zittrigen Knien ging ich ins Sendestudio. Harry saß draußen. Auf der einen Seite der Glasscheibe. Der Programmdirektor des Senders auf der anderen, mit strengem Blick.

„Wennde ma den Kopf frei pusten willst Kleener, geh loofen“, sagte Harry

Die Sendung war die Hölle für mich. Ich muss unfassbar schlecht gewesen sein. Tom erinnert sich an die Lieblingsgeschichte seines Papas: „Er erzählte mir immer: Der Mike, als der seine erste Sendung hatte, man war der schlecht. Der Chef wollte ihn vom Mikro nehmen. Mike hat mich während der Sendung immer fragend angeguckt. Ich hab nur genickt und ihm den Daumen hoch gezeigt, um ihn zu beruhigen. Hat der Junge geschwitzt. Aber ich wusste, der Bengel kann was. Und er ist ein richtig Guter geworden.“ So war Harry. Und es gab viele Sendungen die so waren. Ich voller Panik. Daumen hoch von Harry.

Eines Tages gehörte ich zum festen Stamm der Moderatoren. Und ich lief. Ich lief mindestens drei Mal die Woche. Dank Harry. „Wennde ma den Kopf frei pusten willst Kleener, geh loofen“, sagte er. Und was er sagte, das machte ich. So legte er auch diesen Grundstein. Sport war Harrys Motivation. Früher spielte er Fußball und fuhr Radrennen. Tom erzählte mir: „Im Sommer war er während der Tour de France nicht ansprechbar.“ Für ihn war die Tour Motivation im Kampf gegen den Krebs. Es gab eine legendäre Szene, als Jan Ullrich bei der Tour 1997 in den Vogesen, vom Hungerast geplagt, schwächelte und sein Teamkollege Udo Bölts brüllte: „Quäl Dich, Du Sau!“. Ein Satz, den Harry verinnerlicht hat, bis zum Ende.

Harry wäre am 11. März 69 Jahre alt geworden. Er lebte die letzten Jahre in Berlin-Lichterfelde und hat sich ganz dem Schreiben gewidmet. Acht Bücher sind es geworden. Mit Harry geht ein Teil von mir. Ich werde ihn nie vergessen. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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