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Sport: Leben ohne Gewehr

Uschi Disl beendet ihre Biathlon-Karriere

Berlin - Als die Biathletin Uschi Disl neben der gelben Mülltonne vor dem Pressezentrum stand, erlebte sie eine schwere Stunde. Bundestrainer Uwe Müssiggang hatte sie bei den Olympischen Spielen von Turin nicht für die Staffel nominiert, die später hinter Russland Silber gewinnen sollte. Erstmals seit der Einführung des Frauen-Biathlons 1992 musste ein olympisches Rennen ohne sie auskommen. Dass dies sogar ein Hinweis auf die Zukunft sein sollte, hatte Disl bereits an der gelben Mülltonne gewusst. Als einzige. „Ich habe meine Entscheidung getroffen, ob ich weitermache oder nicht, aber ich sage sie euch noch nicht“, erklärte Disl und lachte die 30 Journalisten an. Sie tat so, als mache ihr die Zuschauerrolle in der Staffel nicht viel aus. Wie sehr die Nichtnominierung sie getroffen hatte, sah man erst drei Tage später. Mit Wut im Bauch stürmte sie im Einzelrennen an ihrer Teamkollegin Martina Glagow vorbei zu Bronze. „Ich wollte unbedingt noch eine Medaille“, sagte sie.

Seit gestern weiß man warum. „Biathlon war und ist mein Leben und die letzten eineinhalb Jahrzehnte waren unglaublich schön“, sagte die 35-Jährige nach ihrem 23. Platz beim Sprintweltcup in Oslo, „aber irgendwann muss Schluss sein. Der Massenstart am Sonntag ist definitiv mein letztes Weltcuprennen.“ Das vorletzte ist das Verfolgungsrennen heute, in dem die gestrige Siegerin Martina Glagow Favoritin ist.

Um Uschi Disl zu beschreiben, kommt man an Zahlen nicht vorbei, vielen Zahlen: 65 Podestplätze in Einzel-Weltcuprennen, davon 30 Siege. Fünf Olympia-Teilnahmen mit neun Medaillen, darunter zweimal Staffel-Gold. Ihre WM-Bilanz ist nicht minder beeindruckend: 14 Teilnahmen, 19 Medaillen. Bei ihrem letzten WM-Start 2005 in Hochfilzen erfüllte sich ihr großer Traum, als sie gar nicht mehr daran geglaubt hatte. Innerhalb von 24 Stunden sicherte sie sich das erste und zweite WM-Einzelgold ihrer Karriere.

Der Sport-Bambi und die Auszeichnung als Deutschlands Sportlerin des Jahres folgten. Es gab niemanden, der ihr die Erfolge nicht gönnte. Uschi Disl war keine, die roboterhaft von Sieg zu Sieg lief, unnahbar, unbezwingbar. Sie konnte sich quälen, war in der Loipe schwer zu schlagen, doch am Schießstand schlug sie sich oft selbst. Auch vor dem einen oder anderen Malheur war die Bayerin, die in Tirol lebt, nicht gefeit. Beim Weltcup in Fort Kent 2004 hatte sie auf der Zielgeraden schon die Arme hochgerissen und ihren dritten Platz bejubelt, als die Norwegerin Liv Grete Poiree noch an ihr vorbeischoss. Auch sie wird am Sonntag ihre Karriere beenden. Zwei Sportlerinnen werden abtreten, die entscheidenden Anteil daran haben, dass Biathlon in kurzer Zeit so populär geworden ist.

Als Uschi Disl 1989 ihr erstes Weltcuprennen bestritt, strömten die Fans zum Männerrennen und gingen wieder, bevor das der Frauen begann. Inzwischen wird es Disl schon mal zu viel, wenn Wildfremde sie anfassen oder gar umarmen wollen. Das sagt sie dann auch deutlich, sie hat sich nie verbiegen lassen. Keine konnte nach Siegen so strahlen, keine nach Niederlagen so schön schimpfen. Dem Biathlon will Uschi Disl auch künftig verbunden bleiben, als Fernsehexpertin. Mit ihrem Freund will sie demnächst fünf Wochen nach Neuseeland fahren. Und dann will sie sich einen anderen Traum erfüllen: statt ein Gewehr auf dem Rücken ein Baby auf dem Arm tragen.

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