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Ganz oben. Pascal Behrenbruch springt erstmals in einem Zehnkampf über fünf Meter im Stabhochsprung und schafft insgesamt starke 8558 Punkte. Dieses Ergebnis macht ihn für London zu einem Anwärter auf eine olympische Medaille.

© dpa

Leichtathletik-EM: Behrenbruch holt Zehnkampf-Gold

Lange stritt Pascal Behrenbruch mit dem deutschen Verband. Nun wird der Zehnkämpfer Europameister - als erster Deutscher seit 41 Jahren.

Auf der Ehrenrunde machte Pascal Behrenbruch noch einmal das, was er an den zwei Wettkampftagen zuvor auch schon getan hatte: Er ließ die Konkurrenz einfach stehen. Während die anderen Zehnkämpfer in der Kurve darauf warteten, dass die Bahn nach dem 100-Meter-Finale wieder freigegeben wird, machte Behrenbruch kehrt und lief einfach anders herum in Richtung Ziel. Die Zuschauer auf der Gegentribüne freuten sich, bekamen sie so doch den frischgebackenen Europameister ein zweites Mal zu sehen. Mit 8558 Punkten gewann Behrenbruch bei der Leichtathletik-EM in Helsinki den Titel. Es war die erste deutsche Goldmedaille bei einer Europameisterschaft seit 41 Jahren. Zuletzt hatte 1971 der DDR-Sportler Joachim Kirst vom Armeesportklub Potsdam gewonnen – ebenfalls in Helsinki.

Behrenbruchs Erfolgsrezept war eine gehörige Portion Wut im Bauch. „Ich war sauer, und wenn man mich sauer macht, dann antworte ich darauf“, sagte er. In der Vergangenheit hatte der 27-Jährige immer wieder Ärger mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) gehabt. 2010 etwa hatte er die Norm für die Europameisterschaften knapp geschafft, doch weil er sich beim Qualifikationswettkampf verletzt hatte, forderte der Verband einen Leistungsnachweis, den der Mehrkämpfer nach Ansicht des DLV nicht bestand. Für die EM wurde er nicht nominiert. Eine Klage Behrenbruchs wurde vom Sportschiedsgericht abgewiesen. Im vergangenen Herbst schmiss ihn der nationale Verband dann wegen „nicht ausreichender kontinuierlicher Zusammenarbeit mit den Bundestrainern in den zurückliegenden Jahren“, so DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen, aus dem „Top Team“ für die Olympischen Spiele in London und damit aus der Förderung. Fast zeitgleich trennte sich sein bisheriger Heimtrainer Jürgen Sammert von ihm.

In dieser Situation – ohne Trainer, ohne Fördermittel und ohne den Verband an seiner Seite – entschloss sich Behrenbruch zu einer radikalen Veränderung. Der Mann von der LG Eintracht Frankfurt brach seine Zelte in Offenbach ab, setzte sich ins Auto und fuhr in die estnische Hauptstadt Tallinn. Fortan trainierte er dort unter Erki Nool, dem Olympiasieger von 2000, und Nools ehemaligem Coach Andrei Nazarov. „Wir sind wie eine Familie und verstehen uns super“, so Behrenbruch. „Nach Estland zu gehen, war genau die richtige Entscheidung. Weil ich mich dort weiterentwickeln konnte und endlich meine Ruhe habe.“

Er trainiere jetzt viel selbständiger als früher, sagte er, und übernehme viel mehr Verantwortung. Behrenbruchs Selbstbewusstsein ist dadurch weiter gewachsen, das zeigte sich in Helsinki vor allem beim Stabhochsprung: Noch nie war er zuvor über fünf Meter gesprungen, weil er „immer Angst“ vor dieser Marke gehabt hatte. In Finnland platzte der Knoten. Auch im Kugelstoßen steigerte sich Behrenbruch deutlich. „Ich habe gezeigt, dass ich der King im Ring bin“, kommentierte er seine 16,89 Meter, mit denen er die Konkurrenz beeindruckte. Auch im Speerwurf war Behrenbruch mit 67,45 Metern der Beste im Feld der 26 gestarteten Zehnkämpfer. In der Jugend war er in dieser Disziplin sogar mal Deutscher Meister gewesen. Sich voll auf den Speerwurf zu konzentrieren, kam für ihn allerdings nie in Frage: „Das ist mir viel zu eintönig. Nach sechs Würfen hat man den Sieg schon in der Tasche. Beim Zehnkampf muss man hingegen richtig hart dafür arbeiten und kämpfen.“

Behrenbruch hat sein Herz an die leichtathletische Vielseitigkeitsprüfung verloren. Deswegen kam es für ihn auch nicht in Frage, die Europameisterschaften auszulassen, um sich gezielt auf die Olympischen Spiele vorzubereiten, wie es der Deutsche Leichtathletik-Verband gerne gesehen hätte. Ein Doppelstart in Helsinki und in London hatten die Bundestrainer eigentlich nicht vorgesehen. Doch Pascal Behrenbruch wollte nicht einsehen, weswegen er diese große Medaillenchance einfach herschenken sollte. Und überhaupt: „Zehn Wochen nur trainieren und den ganzen Tag an Olympische Spiele denken ist echt hart“, sagte Behrenbruch.

Als Zweiter der Weltjahresbestenliste reist er nun mit guten Medaillenchancen zu den Olympischen Spielen. Platz eins scheint dort an den US-Zehnkämpfer Ashton Eaton vergeben, der vergangene Woche bei der amerikanischen Olympiaqualifikation mit 9039 Punkten einen neuen Weltrekord aufgestellt hat. „Ashton gewinnt Gold, so viel ist klar“, meint auch Pascal Behrenbruch, doch dahinter sei alles möglich. Der Deutsche und Ashton Eaton beiden sind gut befreundet, bei den Weltmeisterschaften 2011 tranken sie nach dem Wettkampf gemeinsam ein Bier. Behrenbruch hätte sicher nichts dagegen, wenn sie in London erneut anstoßen könnten. Am liebsten natürlich auf eine Medaille.

Konstantin Jochens

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