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Unverständnis: Der Freude über den EM-Gewinn folgte schnell der Schock - für den Zieleinlauf mit nacktem Oberkörper wurde Mahiedine Mekhissi-Benabbad disqualifiziert.

© dpa

Leichtathletik-EM: Disqualifizierter Mekhissi-Benabbad: "In anderen Sportarten bekommt man eine Geldstrafe"

Zieleinlauf mit freiem Oberkörper: Dem Franzosen Mahiedine Mekhissi-Benabbad wurde dafür der EM-Titel über 3000 Meter Hindernis wieder aberkannt. Nun gibt es Kritik an der strengen Regelauslegung - auch im Vergleich zum Fußball.

Einmal im Leben Fußballstar sein und jubeln wie nach dem Siegtor in einem großen Finale. So muss sich Mahiedine Mekhissi-Benabbad vorgekommen sein an diesem Abend im Letzigrund-Stadion von Zürich: „Ich habe meinen Sieg wie ein Fußballer gefeiert.“ Der Franzose ist Leichtathlet, ein ziemlich guter sogar. So gut, dass er sich im EM-Endlauf über 3000-Meter-Hindernis einen üppigen Vorsprung herausgelaufen hatte. Im Rausch des sicheren Sieges riss er sich auf der Zielgerade sein Trikot vom Körper, klemmte es zwischen die Zähne und stürmte mit freiem Oberkörper über die Linie. Europameister blieb er nicht lange. Der Titel wurde ihm aberkannt. „In jeder Sportart darf man sein Trikot ausziehen, nur in der Leichtathletik nicht. Das finde ich komisch“, klagte er am Tag danach. Hat er Recht? Auflösung am Ende.

Erst schien er noch mit einer Gelben Karte wegen unsportlichen Verhaltens davonzukommen. Doch nachdem Mekhissi-Benabbad seine Ehrenrunde gedreht hatte, begann die Regelrallye. Die spanische Delegation legte Protest ein, ihr Athlet Angel Mullera war Vierter geworden. Der Protest wurde angenommen und Mekhissi-Benabbad disqualifiziert. Dagegen legten die Franzosen wiederum Protest ein – abgelehnt. Denn Mekhissi-Benabbad hatte gleich gegen zwei Wettkampfregeln der internationalen Leichtathletik verstoßen.

"Ich wusste nicht, dass ich disqualifiziert werden würde"

Regel 143.1 besagt: „In allen Wettkämpfen müssen Athleten Kleidung tragen, die sauber und für den Wettkampf ausgelegt ist und so getragen wird, dass dies nicht zu beanstanden ist.“ Und in Regel 143.7 heißt es: „Jeder Athlet muss mit zwei Startnummern ausgestattet sein, die während des Wettkampfs sichtbar auf der Brust und dem Rücken getragen werden.“ Das war Mekhissi-Benabbad offenbar nicht bekannt. „Ich wusste nicht, dass ich für so etwas disqualifiziert würde. Als ich mein Trikot auszog auf den letzten Metern war das reine Freude. Es war die Lust am Gewinnen.“

Es wäre schon der dritte EM-Titel für den 29-Jährigen über 3000-Meter-Hindernis gewesen. Zwei olympische Silbermedaillen und zwei WM-Bronzemedaillen hat er in dieser Disziplin auch noch gewonnen. In seiner Karriere ist er allerdings auch schon einige Male unangenehm aufgefallen. Bei der EM 2010 in Barcelona forderte er das Maskottchen auf, vor ihm niederzuknien und drückte es dann auf den Boden. Zwei Jahre später in Helsinki schlug er dem EM-Maskottchen erst etwas aus der Hand und schubste es dann weg. 2011 war er für zehn Monate gesperrt worden, weil er sich mit seinem französischen Laufkollegen Mehdo Baala im Zielraum geprügelt hatte.

Diesmal war es wenigstens eine schräg-fröhliche Aktion. Helmut Digel, Mitglied im Council des Internationalen Leichtathletik-Verbandes, sah die Disqualifikation daher auch nicht als das beste Mittel an. „Die Regel gibt eine Bestrafung her, daher ist den Kampfrichtern kein Vorwurf zu machen, aber korrekte Entscheidungen müssen nicht immer angemessene Entscheidungen ein.“ Der Verlust des EM-Titels habe schließlich für den Athleten enorme ökonomische Folgen. „Und es ist etwas anderes, ob ich meinen Gegner benachteilige oder mich selbst. In anderen Sportarten bekommt man dafür eine Geldstrafe“, sagte Digel und verknüpfte damit noch eine Forderung: „Wir sollten als Hausaufgabe mitnehmen, unsere Strafen noch einmal zu überprüfen.“

Im Fußball gibt es eine Verwarnung

Wenig Verständnis für Mekhissi-Benabbad hatte dagegen der deutsche 1500-Meter-Läufer Florian Orth: „Ob Verhöhnung des Gegners oder Selbstverherrlichung – beides gehört sich nicht.“ Er qualifizierte sich am Freitag im selben Vorlauf für das Finale über 1500 Meter am Sonntag wie Mekhissi-Benabbad und die beiden anderen deutschen Läufer Homiyu Tesfaye, und Timo Benitz. Mekhissi-Benabbad will nun am Sonntag seine EM-Medaille gewinnen. „Das wäre mein Traum. Aber erstmal muss ich die Enttäuschung von gestern verarbeiten. Ich habe in dieser Nacht nicht geschlafen“, sagte er. Doch er sei stolz auf sich. „Je ne regrette rien.“

Und jetzt noch die Auflösung des Sportartenvergleichs. Was passiert, wenn ein Fußballspieler sich das Trikot auszieht und dann den Ball ins Tor schießt? Denn nur das wäre eine vergleichbare Situation, Ausziehen während der Wettbewerb noch läuft. Eugen Strigel, langjähriger Lehrwart des Deutschen Fußball-Bundes, sagt dazu: „Zur Ausrüstung eines Fußballspielers gehören Schuhe, Hose und Trikot. Aber nur für die Schuhe ist explizit geregelt, dass der Spieler ohne nicht weiterspielen darf.“

Was wird ein Schiedsrichter also tun? „Ich würde ihm empfehlen, das Spiel zu unterbrechen und den Spieler wegen Unsportlichen Verhaltens zu verwarnen“, sagte Strigel. Also kein Tor. Vorgekommen sei ein solcher Fall jedoch bislang nicht. Das hat die Leichtathletik dem Fußball jetzt voraus.

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