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Enttäuscht. Christoph Harting setzte alle Versuche in das Netz.

© imago/Pressefoto Baumann

Leichtathletik-EM in Berlin: Das Duell der Harting-Brüder bleibt aus

Diskus-Olympiasieger Christoph Harting kann sein Ausscheiden nicht erklären. Dessen Bruder Robert steht vor seinem letzten Auftritt.

Fest entschlossen bog Christoph Harting in den Katakomben des Berliner Olympiastadions um die Ecke. Der 27-Jährige hatte die wartenden Reporter fest im Visier, er, der im Diskusring so cool rüberkommt, hatte im Gespräch mit ihnen ja schon manches Mal Nerven gezeigt. Am Dienstag, dem offiziellen Eröffnungstag der Leichtathletik-EM, war er aber gut vorbereitet. Harting baute sich vor den Reporten auf und fragte laut: "Alle bereit?" Dann folgte eine kurze und klare Erklärung – zu seinem Scheitern.

Christoph Harting hat am Dienstag in der Qualifikation des Diskuswerfens drei Mal sein Wurfgerät in das weite Rund des Olympiastadions feuern wollen. Doch jedes Mal warf er den Diskus ins Fangnetz. Aus, vorbei. Auch das von vielen Zuschauern erhoffte Duell mit seinem Bruder Robert Harting kommt damit nicht zustande. Robert Harting qualifizierte sich mit einer Weite von 63,29 Metern als Siebter für das Finale am Mittwochabend (20.20 Uhr).

"Ich kann es mir nicht erklären. Ich hatte eine super Fitness, ein top Gefühl, ich bin schnellkräftig", monologisierte Christoph Harting und zupfte währenddessen die Startnummer von seinem Trikot ab. "Wir haben uns auf den Wettkampf morgen vorbereitet. Die Qualifikation wird ja mehr als Training betrachtet. Ich werfe normal 63 Meter aus dem Stand. Aber darum geht es nicht. Die Möglichkeit, es nicht abrufen zu können, ist frustrierend. Dankeschön." Anschließend gestattete er noch zwei Fragen, um bei der dritten dann die Runde erneut mit "Dankeschön." zu beenden. Es sollte ja ein Statement und keine Fragerunde sein.

Hier der Vorzeigeathlet, dort der Ungeliebte

Wie ungleich doch diese beiden Brüder Robert und Christoph Harting sind, das wurde an diesem Dienstagmittag im Olympiastadion noch einmal in komprimierter Form aufgezeigt. Hier Robert, der Vorzeigeathlet, das Gesicht der deutschen Leichtathletik in den vergangenen zehn Jahren; und dort Christoph, der Unverstandene, der Ungeliebte, vielleicht sogar der talentiertere von beiden. Robert packte die Qualifikation recht sicher und sprach anschließend von einer "Glücksebene", auf der er sich bei der EM in Berlin befinde. Und nur wenig später folgten das Drama und die schroffe Erklärung dazu von seinem Bruder.

Christoph Harting ist sicher eine der tragischsten Figuren zurzeit in der deutschen Leichtathletik. Zu dieser war er bei seinem größten Erfolg – dem Olympiasieg 2016 in Rio – geworden, als er mit der Goldmedaille um den Hals während der Nationalhymne ein seltsames Tänzchen aufführte. Was aus der skurrilen Nummer gemacht wurde, wie sie medial breit und breiter getreten wurde, hatte der Ausnahmeathlet Harting nicht verdient. Am Dienstag folgte dann die wohl größte sportliche Delle in seiner Karriere; und schnell ging nach seinem etwas forschem Auftritt nach dem Ausscheiden schon wieder das Getuschel los. Merkwürdig sei sein Verhalten gewesen. Mal wieder.

Und es stimmt ja auch. Es gibt großartige Verlierer. Athleten wie etwa den Franzosen Kevin Mayer. Der Favorit im Zehnkampf stellte am Dienstag zunächst über 100 Meter eine persönliche Bestzeit auf und schied dann nach drei ungültigen Versuchen im Weitsprung aus. Anschließend stellte er sich hin und sagte – mit sich kämpfend – ins Stadionmikrofon, dass es ihm wahnsinnig leid tue. Und dann sogar auf Deutsch: "Ich liebe Dich." Er meinte die Berliner. So gewinnt man die Herzen der Fans. Christoph Harting kann im Verlieren nicht mit Mayer mithalten. Spötter werden wegen seines überschatteten Olympiasieges sagen, dass er vor allem nicht im Gewinnen mithalten kann – schon gleich gar nicht mit seinem Bruder Robert.

Der kann am Mittwochabend seine fantastische Karriere vielleicht mit einer weiteren Medaille krönen. Es würde passen, dass der kleine Bruder dem großen noch ein letztes Mal beim Triumph zusehen muss. Danach soll aber endlich die Zeit von Christoph Harting beginnen, ganz ohne Tragik.

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