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Erfolgsverrückt. Gina Lückenkemper ist eine heiße Kandidatin auf eine Medaille im Sprint.

© imago/Chai v.d. Laage

Leichtathletik-EM in Berlin: Vier für Deutschland: Diese Talente können für Furore sorgen

Rampensau, Jahrhunderttalent, Frühstarter und Vorkämpfer: In der deutschen Leichtathletik gibt es einige junge Talente. Wir stellen sie Ihnen vor.

Es gibt einige hoffnungsvolle deutsche Talente, die es bei bei den Heim-Europameisterschaften ab der kommenden Woche in Berlin bis ganz nach vorne schaffen könnten. Die heißesten Kandidaten sind Sprinterin Gina Lückenkemper, die Mittel- und Langstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen, Speerwerfer Johannes Vetter und Dreispringer Max Heß.

Die Rampensau: Gina Lückenkemper

Koforidua im Herbst 2017. Gina Lückenkemper ist zu PR-Zwecken mit einer kleinen Reisegruppe in Ghana unterwegs. Es ist heiß im Südosten des Landes und es war ein anstrengender Tag. Lückenkemper stellte sich den Stammesführern einer kleinen Dorfgemeinschaft vor, sie tanzte mit den Kindern des Dorfes und trug fürs Foto eine schwere Wasserschüssel auf dem Kopf.

All dies tut Lückenkemper mit einem ausdauernden Strahlen im Gesicht, dass man sich fragt, wann die Energiereserven der jungen Frau mal aufgebraucht sind. Am Abend ist es dann soweit. Lückenkemper stochert müde in ihrem Essen herum und blickt gleichzeitig gelangweilt auf ihr Handy. Sie ist erstmals an diesem Tag nicht die große Unterhalterin für den Reisetross. Kurz bevor sie sich auf den Weg ins Bett macht, kommt die Frage auf, ob sie überhaupt Lust auf den ganzen Trubel hat. Lückenkemper überlegt keine Sekunde, sie sagt: „Nein, ich will das. Ich bin schon eine kleine Rampensau.“ Dann geht sie schlafen.

Hätte sich der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) die perfekte Athletin ausdenken dürfen, dann wäre wohl Gina Lückenkemper dabei herausgekommen. Die Sprinterin vereint viele Parameter, die es braucht, um wahrgenommen zu werden: Lückenkemper ist frech, intelligent, selbstbewusst, und der Boulevard hebt sie auch schon mal nur wegen ihres Aussehens ins Blatt. Vor allen Dingen aber: Gina Lückenkemper ist außerordentlich schnell.

Als erste Deutsche seit 1991 unter elf Sekunden

Die 21-Jährige blieb im vergangenen Jahr als erste Deutsche seit Katrin Krabbe im Jahr 1991, über die 100 Meter unter elf Sekunden. In diesem Jahr steht ihre Bestzeit bei 11,07 Sekunden. „Ich will zwei Medaillen bei dieser EM gewinnen“, sagt Lückenkemper wenige Tage vor Beginn der Europameisterschaft in Berlin. Die Chancen dazu hat sie im 100-Meter-Einzellauf (Das Finale findet am Dienstag um 21.30 Uhr statt) sowie in der 4 x100-Meter-Staffel (Finale: Kommender Sonntag um 21.20 Uhr). Es verwundert daher nicht, dass der DLV gerne auf Lückenkemper als Markenbotschafterin für die deutsche Leichtathletik zurückgreift. Wenn der Verband allerdings nur noch diesen einen Wunsch bei Lückenkemper frei hätte, dann wäre dies eine bessere Reaktionszeit am Start.

Lückenkemper verlor bis vor Kurzem fast eine Zehntelsekunde unmittelbar nach dem Startschuss auf die Konkurrenz. Auf der 100-Meter-Strecke ist das eine halbe Ewigkeit. Um in der Weltspitze zu landen, ist der Makel zu groß. So steht Lückenkemper aktuell mit ihren 11,07 Sekunden nur auf Platz 68 der Jahresbestenliste über die 100-Meter-Distanz. In Europa sind in diesem Jahr allerdings nur vier Läuferinnen schneller gewesen als sie. Außerdem hat Lückenkemper bereits hart an ihrer Schwäche gearbeitet und will dies auch weiterhin tun. Sie hat offenbar ihr Grundproblem erkannt: „Ich habe vor dem Start zu viel nachgedacht.“

Mit der Unterstützung von Neuroathletiktrainer Lars Lienhard versucht sie, eine Art Tabula rasa im Kopf zu schaffen. Die Reaktion auf den Startschuss soll automatisiert, ohne störende Gedanken erfolgen. Zuletzt hatte das neuronale Training schon angeschlagen, ihre Reaktionszeiten waren deutlich besser. „Unter elf Sekunden werden für mich bei der Europameisterschaft möglich sein“, sagt Lückenkemper. Versagensängste? „Habe ich nicht. Wenn es scheiße läuft, läuft es scheiße. That's life.“ Auch für solche Sätze wird sie beim DLV und ihren vielen Fans geschätzt.

Konstanze Klosterhalfen: Das Jahrhunderttalent

Zurückhaltend - aber nicht auf der Bahn: Konstanze Klosterhalfen.
Zurückhaltend - aber nicht auf der Bahn: Konstanze Klosterhalfen.

© imago/Beautiful Sports

Das Jahrhunderttalent: Konstanze Klosterhalfen

Nicht jeder liebt die große Bühne so sehr wie Gina Lückenkemper. Das trifft zum Beispiel auf Konstanze Klosterhalfen zu. Für die zurückhaltende Mittel- und Langstreckenläuferin stellen die Pressetermine vor den Großveranstaltungen eher zu überwindende Hürden dar als willkommene Plattformen, um sich zu präsentieren. Dabei gibt es nur wenige Leichtathleten in Deutschland, die so gefragt sind wie Klosterhalfen. Das liegt an den herausragenden sportlichen Fähigkeiten der 21 Jahre alten Frau. Im vergangenen Jahr rannte sie die 800 Meter unter zwei, die 1500 Meter unter vier und die 5000 Meter unter 15 Minuten. Das hat in diesem Alter noch keine Läuferin vor ihr geschafft. Klosterhalfen gilt als Jahrhunderttalent der deutschen Leichtathletik.

Bereits mit fünf Jahren begann sie mit der Leichtathletik. Sieben Jahre später wurden die ersten Menschen in ihrem Umkreis auf ihre Leistungen aufmerksam. Sie wurde 2014 U-18-Meisterin. Beim Institut für angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig wunderten sich die Biomechaniker über ihre exorbitant guten Ausdauerwerte. Beobachter hatten ihr schon im vergangenen Jahr bei der WM in London eine Medaille zugetraut. Doch Klosterhalfen ging die Rennen zu schnell an und wurde am Ende von den sprintstarken Afrikanerinnen überrannt.

Konkurrenz war deutlich schneller

Bei der EM in Berlin startet Klosterhalfen über die 5000-Meter-Distanz (Finale am kommenden Sonntag um 20.15 Uhr) und nicht über die 1500 Meter, ihrer Hauptstrecke der vergangenen Jahre. „Mit ihrer Geschwindigkeit, die sie als bisherige 1500-Meter-Spezialistin mitbringt, kann sie hintenraus über 5000 Meter gut aussehen“, sagt ihr Trainer Sebastian Weiß. Eine Medaille im Olympiastadion ist möglich, auch wenn es schwer wird. So sind einige Läuferinnen dabei, die in diesem Jahr deutlich schneller unterwegs waren als Klosterhalfen. Zu nennen sind die beiden gebürtigen Afrikanerinnen Sifan Hassan und Meraf Bahta, die für die Niederlande respektive Schweden starten, sowie die Britin Eilish McColgan.

Der Rückstand auf die europäische Spitze hängt auch damit zusammen, dass Klosterhalfen mit Knieproblemen zu kämpfen hatte. Um die überlasteten Sehnen in den Knien zu schonen, musste sie sich mehrere Wochen mit Aquajogging fit halten. Lange war nicht klar, ob es für einen Start bei der EM im eigenen Land reichen würde. „Das war bisher die schlimmste Zeit in meinem Leben. Weil ich so ungeduldig war, ist es vielleicht auch noch schlimmer geworden, als es hätte sein müssen“, sagt sie. Um so schnell zurückzukommen, musste sich Klosterhalfen quälen: „Es war hart, aber umso schöner ist es, jetzt wieder alles geben zu können.“

Johannes Vetter: Der Vorkämpfer

Rekordverdächtig. Johannes Vetter hat sehr gute Chancen auf Gold in Berlin.
Rekordverdächtig. Johannes Vetter hat sehr gute Chancen auf Gold in Berlin.

© imago/Newspix24

Der Vorkämpfer: Johannes Vetter

Johannes Vetter ist ein ziemlich emotionaler Typ. Speerwerfen geht dem 25-Jährigen unter die Haut. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Deutschlands Bester hat sich einen Speerwerfer großflächig auf das linke Schulterblatt tätowieren lassen. Der griechische Kämpfer in voller Montur und mit schnittigem Helm wirkt ein bisschen martialisch, aber das passt zu Vetter: dem Muskelpaket von 105 Kilogramm, der den Speer jedes Mal mit einem Hechtsprung abfeuert und dann mit Gebrüll auf die Bahn kracht. So einen schreckt es auch nicht, wenn er vor dem Saisonhöhepunkt ein paar Wochen verletzt ausfällt. „Ich bin noch nicht wirklich zurück, aber ich bin auf einem guten Weg“, sagte er zu seinen Oberschenkelproblemen. Dann kann ja nichts mehr schief gehen beim Speerwurf-Finale am Donnerstag (20.20 Uhr).

Vetter ist ein Kämpfer, der sich ins Zeug legt. Oder besser: hineinwirft. Denn das ist sein Motto: sich reinwerfen für den einen Moment. Das hat er schon als kleiner Junge getan, als er mit sechs Jahren zur Leichtathletik kam und erst einmal Bälle durch die Luft schleuderte. Der Wechsel später zum Speer schien da nur folgerichtig. Genauso wie der des Vereins vor vier Jahren: Damals zog Vetter quer durch die Republik. Weg aus seiner Heimatstadt Dresden, erst nach Saarbrücken und dann nach Offenburg, zu Bundestrainer Boris Obergföll. Für ihn gab Vetter sogar seine Anstellung bei der Landespolizei Sachsen auf.

Weite um 15 Meter gesteigert

Es hat sich ausgezahlt: Seitdem hat Vetter seine Weite um 15 Meter gesteigert. Und bei 94,44 Meter soll längst noch nicht Schluss sein. Vetter strebt nach immer neuen Rekorden, und rekordverdächtig wäre es wohl auch, wenn es in Berlin den kompletten Medaillensatz für die deutschen Speerwerfer gibt. Weltmeister Vetter, Olympiasieger Thomas Röhler und Deutscher Meister Andreas Hofmann: Die drei führen derzeit mit Würfen über 90 Meter die Weltrangliste an.

Der Druck könnte nicht größer sein, zumal vor heimischem Publikum. Die Berliner Bahn liegt Vetter nicht so recht. Sie sei ein bisschen zu weich, sagte er beim Probetraining vor ein paar Tagen. Das in Verbindung mit den immensen Erwartungen kann schnell nach hinten losgehen beim Speerwerfen. Ein mahnendes Beispiel für Vetter sollte sein eigener Teamkollege sein. Thomas Röhler trat im vergangenen Jahr bei der WM in London als Olympiasieger an. Am Ende ging er als Vierter leer aus.

Max Heß: Der Frühstarter

Eins, zwei, drei. Max Heß springt in Berlin um die Medaillen.
Eins, zwei, drei. Max Heß springt in Berlin um die Medaillen.

© Sven Hoppe/dpa

Der Frühstarter: Max Heß

Über eine Angabe auf der Website des Deutschen Leichtathletik-Verbands muss man schmunzeln. Da wird Max Heß noch als Perspektivkader geführt. Perspektive hat der Dreispringer ja auch. Aber das klingt so nach warten und das will der 22-Jährige nicht. Heß will den Erfolg jetzt gleich. Er will bei der EM seinen Titel verteidigen. Selbst wenn es dieses Jahr noch nicht läuft wie 2016. Rückblick ins Wahnsinnsjahr: Damals hat Heß nicht nur sein Abitur gemacht, sondern startete auch im ersten Jahr bei den Männern.

Erst holte er bei der Hallen-WM Silber, dann bei der Freiluft-EM in Amsterdam überraschend den Titel. Es war der erste EM-Sieg für einen deutschen Dreispringer seit Jahrzehnten, und der Goldjunge war da erst 19 Jahre alt. Als Höhepunkt nahm Heß bei den Olympischen Spielen teil. Dass er in Rio bereits in der Qualifikation scheiterte – sei's drum. Sein Trainer Harry Marusch ist nicht der Einzige, der da einen neuen Star der deutschen Leichtathletik sieht.

In diesem Jahr läuft es noch nicht rund

Das Talent hat Heß. Aber auch Verletzungssorgen. Mal zwickt die Ferse, mal der Oberschenkel. 2017 fand die WM ohne ihn statt. Auch in diesem Jahr ist es bisher noch nicht rund gelaufen. Bei der Hallen-WM wurde er Elfter. Überhaupt hat sich viel verändert. Heß ist kein Schüler mehr. Er studiert und will Wirtschaftsingenieur werden. Und er möchte den Coup bei der Heim-EM in Berlin wiederholen. Das heißt aber auch: Es ist Druck da. Da ist es nicht gut, wenn die Generalprobe schief geht.Nach Siegen bei der deutschen Meisterschaft 2016 und 2017 musste er diesmal die Konkurrenz vorlassen. Nicht, weil die besser war, sondern weil wieder etwas zwickte. Heß ließ es nicht darauf ankommen und gab auf. „Der Beuger hat gekrampft, das wollten wir nicht aufreißen lassen“, sagte Heß.

Er weiß, dass allein auf ihm die EM-Hoffnungen ruhen. Sein Nachfolger als Deutscher Meister, Felix Wenzel, sprang in Nürnberg 16,08 Meter. Heß' Bestleistung liegt mit 17,20 Meter mehr als einen Meter weiter. Heß will sich aber weder Druck machen, noch Angst vor der Verletzung haben. Die Dreispringer sind Sonntag mit als letztes dran (Finale ab 20.05 Uhr). Geht es Heß gut, ist eine Medaille drin. Vor zwei Jahren nannte er den Tag seines Goldsprungs als „besten in meinem Leben“. Das war in Amsterdam. Was wird das erst, wenn er zu Hause vor Familie und Freunden gewinnt?

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