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Spannweite 2,06 Meter. Nadine Müller ist 1,93 Meter groß, sie hat sehr gute Hebelverhältnisse. Jetzt ist sie aus dem Schatten von Franka Dietzsch herausgetreten.

© dpa

Leichtathletik: Kaffeefahrt nach Schönebeck

Diskuswerferin Nadine Müller demonstriert mit zwei Siegen in 23 Stunden neue psychische Stärke. jahrelang mühte sie sich gegen die Übergröße Dietzsch.

Berlin - Ein Kaffee musste her, möglichst schnell. Sie musste irgendwie auf Touren kommen. Erstens war Nadine Müler schon um 4 Uhr aufgestanden, durchs Fenster ihres Hotelzimmers sah sie nur Oslo bei Nacht, zweitens stand sie jetzt am Samstagmorgen auf dem Flughafen Berlin-Tegel, vier Stunden später, und hatte keine Lust. Schönebeck ist ja bestimmt ein schönes Leichtathletik-Meeting, sie stand auch auf die Starterliste, aber Nadine Müller war müde, und sie hatte vor allem am Abend vorher doch schon alles gegeben. 63,93 Meter hatte sie den Diskus geschleudert und 10 000 Dollar kassiert. Die Siegprämie beim Diamond-League-Meeting in Oslo. „Unglaublich, mein erster großer Sieg auf diesem Level“, hatte sie den Reportern gesagt. Und jetzt, Schönebeck, Provinz. Auf der Fahrt pushte sie sich mit Kaffee.

Ja, Schönebeck. Denn Schönebeck bedeutete auch: Der nächste Sieg auf hohem Niveau, der zweite innerhalb von 23 Stunden. 65,41 Meter. Und nicht mal persönlicher Rekord. Der steht bei 67,78 Meter, seit dem Meeting Anfang Mai in Wiesbaden. 67,78 Meter, das war für Nadine Müller, 24 Jahre, 1,93 Meter groß, Spannweite 2,06 Meter, erstmal eine neue Welt. „Ich habe wie in Trance geworfen“, hatte sie zu Wiesbaden gesagt.

Das klang nach Einmaligkeit, nach diesem einen besonderen Wurf, der einem mal rausrutscht und zum verfluchten Gradmesser für alle weiteren Leistungen wird. Aber Nadine Müller aus Halle an der Saale ist dabei sich auf einem Level zu stabilisieren, in diesem diese 67,78 Meter keinen großen Ausrutscher darstellt.

Das hätte sie schon früher haben können. „Sie hat ihre psychische Stabilität gefunden“, sagte Gerhard Böttcher der dpa. Böttcher hatte Müller zwölf Jahre lang trainiert, bis Ende 2009, er kennt sie in und auswendig. Die Diskuswerferin Müller kämpfte immer gegen die Übergröße Franka Dietzsch. Die stand da wie ein Denkmal, dreimalige Weltmeisterin, unverrückbar, ein Fels, an dem sich viele abarbeiteten. Erst als Dietzsch nicht mehr als reines Denkmal im Ring stand, sondern auch als 40-Jährige mit einem ausgezehrten Körper, da verlor auch Müller langsam ihre Ehrfurcht.

Aber Dietzsch war nur das eine Problem. Das andere war ein Phänomen, das Böttcher „in 37 Jahren als Trainer noch nie erlebt hat“. Denn zwischen Einwerfen und Wettkampf verlor Müller mehrere Meter. Es kam regelmäßig vor, dass sie sich mit 61 Metern aufwärmte und im Wettkampf 58 Meter warf. Irgendwas in den Minuten dazwischen passierte im Kopf der Nadine Müller. „Wenn die Schwankungen größer als 1,5 Meter sind, ist etwas faul“, sagte Böttcher. Er schüttelte bedächtig seinen massigen Kopf, er hatte keine Antwort auf so eine Erscheinung. „Eigentlich müsste Nadine im Wettkampf sowieso weiter kommen als beim Einwerfen.“

Kam sie aber nicht, und ihre Erklärung stellte auch Böttcher nicht zufrieden. „Ich habe im Wettkampf plötzlich schwere Beine“, hatte sie ihrem Trainer mitgeteilt. Schwere Beine? Ja, weshalb denn? Böttcher konnte damit nichts anfangen. Aber Nadine Müller hatte nichts Besseres anzubieten. „Sie ist an ihren eigenen Erwartungen gescheitert“, seufzte Böttcher.

Der langjährige Trainer ist jetzt in Rente, sein Nachfolger ist Rene Sack, der frühere Kugelstoßer. Er sagt technisch das Gleiche wie Böttcher, aber er redet ein wenig anders. „Das bringt ein bisschen neuen Wind“, sagt Müller dazu. Vielleicht spielt das eine Rolle, Nadine Müller weiß es auch nicht so genau. Inzwischen ist es ihr auch egal. Sie ist jetzt auf einem anderen Level, und dem hat sie ihre Ziele angepasst. „Bei der EM in Barcelona“, sagte sie in Oslo, „möchte ich eine Medaille.“

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