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Sport: Leipziger Leere

Von Sonntag an hat die Stadt ein schickes WM-Stadion – aber nur drittklassigen Fußball

Leipzig. Als hätte ihn ein Fotograf gebeten, den Niedergang des Leipziger Fußballs darzustellen, fegt Henning Frenzel an diesem Mittag den Kleinbus des VfB Leipzig aus. Eine Fußball-Legende beim Kehraus, so könnte der Titel lauten. Denn Frenzel gehört zu den besten Fußballern, die Leipzig bisher hatte. In 420 DDR-Oberligaspielen erzielte er für Lok Leipzig 152 Tore. Heute hilft der 61-Jährige seinem Klub, von vorne anzufangen. Frenzel arbeitet in der Nachwuchsabteilung des in VfB Leipzig umbenannten Klubs. „Es lohnt sich, wenn man die ganzen Talente sieht“, sagt er. Ob es sich auch für die Talente lohnt, beim VfB Leipzig zu bleiben? Der Verein, 1903 erster Deutscher Fußballmeister, hat Insolvenz angemeldet, der Abstieg in die fünftklassige Verbandsliga steht fest.

Henning Frenzel wird am Sonntag auch nicht mitfeiern, obwohl es ein Festtag für den Leipziger Fußball werden soll. Das neue Zentralstadion wird eröffnet, ein hübscher Spielplatz für die Fußball-WM 2006. Für das Regionalligaspiel zwischen dem FC Sachsen und den Amateuren von Borussia Dortmund wurden schon 18 000 Karten verkauft. Doch Frenzel wird nicht hingehen. „Die Möglichkeit, ein Stadion zu sehen, gibt es noch so oft“, sagt er. Vor allem aber tue es ihm weh, dass nicht sein Verein dort auftrete wie früher, als er im alten Zentralstadion vor 90 000 Zuschauern im Europapokal spielte. Im Moment scheint das Stadion mit seinen 45 000 Plätzen für den Leipziger Fußball ohnehin zu groß zu sein. Der FC Sachsen benötigt am Sonntag dringend drei Punkte, sonst kommt er der vierten Liga bedrohlich nahe.

Es sind vor allem zwei Lasten, die den Leipziger Fußball drücken: seine Tradition und die Rivalität der beiden großen Vereine. Weil der VfB Leipzig und der FC Sachsen um jeden Preis so erfolgreich sein wollten wie es ihre Vorgänger Lok Leipzig und BSG Chemie Leipzig in der DDR waren, haben sie jahrelang zu viel Geld in Spieler und Trainer investiert. Der FC Sachsen musste 2001 Insolvenz anmelden, der VfB hat nun schon zum zweiten Mal nach 1999 Konkurs beantragt.

Die Rivalität der zwei Klubs wirkte sich selten belebend fürs Geschäft aus, zumal die Leipziger Wirtschaft nicht viel zu verteilen hatte. In der vergangenen Saison spielten beide schließlich in der Oberliga um den Aufstieg. In der Stadt wurde das Duell das „Rattenrennen“ genannt. Wer sich von ihnen durchsetzt, sollte alle Unterstützung bekommen. Beim direkten Aufeinandertreffen brach der Hass aus, vor allem Hooligans des VfB randalierten. Es gab mehrere Verletzte.

Der FC Sachsen stieg auf. Auch sonst hält Präsident Christian Rocca seinen Verein für den legitimen Vertreter des Leipziger Fußballs: „Der FC Sachsen ist der Publikumsverein. Wer friedlichen Fußball sehen will, kommt inzwischen zu uns.“ Das neue Stadion sieht Rocca als Glücksfall, auch wenn er nur mit einem Zuschauerschnitt von 6000 rechnet. Der Besitzer des Stadions ist sowieso ein Freund des Klubs. Bis der Filmrechtehändler Michael Kölmel selber Insolvenz beantragen musste, hatte er den FC Sachsen und einige andere ostdeutsche Traditionsvereine mit Millionenkrediten unterstützt.

Der FC Sachsen will bis zur WM in die Zweite Liga aufgestiegen sein. Mit dem Rivalen rechnet er nicht mehr. „Das Problem hat sich endgültig erledigt“, sagt Rocca. Doch am Sonntag wollen die Fans des VfB nochmal einen großen Auftritt inszenieren. „Hurra, wir leben noch“, haben sie ihre Demonstration genannt, die im Gäste-Fanblock des Zentralstadions enden soll. Wilfried Lonzen, den Geschäftsführer der Stadion-Betreibergesellschaft, graut es schon: „Die kommen doch nur, um dem FC Sachsen das Spiel zu vermiesen.“ Dabei hat Lonzen mit dem Stadion ganz anderes vor: „Es könnte eine neue Fußballkultur für Leipzig entstehen mit ganz neuen Interessenschichten.“

Henning Frenzel kümmert sich derzeit lieber um die fernere Zukunft. Mit dem ausgefegten Vereinsbus holt er aus dem Nachbardorf einen Schüler zum Training der F-Jugend ab.

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