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Sport: Lernen vom Schmetterling

Von Christoph Biermann Holland mag das Land der Fußballphilosophen sein, der großen Debatten über Angriffsfußball und göttlichen Dekrete von Johan Cruyff für das Spiel mit drei Stürmern. Holland mag das Land sein, in dem die Diskussionen über Taktik und Systeme auch von Intellektuellen geführt werden, die sich sonst um Literatur, Kunst oder Musik kümmern.

Von Christoph Biermann

Holland mag das Land der Fußballphilosophen sein, der großen Debatten über Angriffsfußball und göttlichen Dekrete von Johan Cruyff für das Spiel mit drei Stürmern. Holland mag das Land sein, in dem die Diskussionen über Taktik und Systeme auch von Intellektuellen geführt werden, die sich sonst um Literatur, Kunst oder Musik kümmern. Huub Stevens mag einen holländischen Pass besitzen und das Oranje-Trikot der niederländischen Nationalmannschaft getragen haben; beeindruckt von der Streitlust seiner Landsleute über Fußball aber ist der nächste Trainer von Hertha BSC nicht.

Wer Huub Stevens in eine Diskussion über die Vorteile eines Systems gegenüber einem anderen auf dem Fußballplatz verwickeln möchte, der wird damit scheitern. Sein Blick auf das Spiel ist keiner aus der Vogelperspektive, sondern gleichsam aus dem Inneren. „Ich rede nicht über Systeme und Taktik“, sagt er, „ich spreche nur über Organisation.“

Selbstverständlich spricht er darüber nicht wirklich, denn damit könnte Stevens nur zu schnell gegen eine seiner ehernsten Regeln verstoßen, den absoluten Schutz der Intimsphäre seiner Mannschaft gegenüber allen Nachforschungen der Öffentlichkeit. Nur allgemein wird er also eine Erklärung dazu abgeben, was er mit „Organisation“ meint.

Der Organisation liegt unbewusst die zentrale Behauptung der Chaostheorie zugrunde, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings über eine lange Kette hinweg in einem anderen Teil der Welt für eine Springflut sorgen kann. Am Beispiel eines Fußballspiels verbietet dieser Ansatz etwa die Betrachtung, dass ein Gegentor allein aus dem Fehler eines Torwarts resultiert.

Selbst wenn es so gewesen sein sollte, würde Stevens fragen, warum es überhaupt zu diesem Eckball kam. Oder, warum es zu einem Angriff des Gegners kam, der eine Situation ermöglichte, in der es die Möglichkeit eines Eckballs gab.

Dies kann man natürlich bis auf eine drei Monate zurückliegende, nicht sorgfältig genug durchgeführte Trainingseinheit an einem verregneten Dienstagnachmittag zurückführen. Oder bis an den Beginn des Fußballspiels überhaupt, und mitunter möchte Stevens auf diese Weise wohl einfach nur davon ablenken, dass er möglicherweise ein ganz schnödes Torwartproblem haben könnte. Doch insgesamt hat diese Betrachtungsweise dazu geführt, dass die Schalker Mannschaft in den letzten fünf Jahren unter seiner Führung sehr organisch ineinander gefügt wirkte.

Das führt nicht umweglos zu schönem Fußball, verhindert ihn aber auch nicht zwangsläufig. Vor das Genie und der Expression von Talent setzt Stevens stets den Aufbau seiner Organisation, die als eine Reihe von präzisen Arbeitsaufträgen zu verstehen ist. Deshalb gilt seine Vorliebe solchen Spielern, die das besonders gut machen. Bei ihm hat es bislang selten einen Deal gegeben, nach dem sich einer seiner Spieler für etwas Genie im Gegenzug ein wenig Wahnsinn leisten darf.

Selbst Spieler wie Jörg Böhme, Andreas Möller oder Ebbe Sand, die dem Schalker Spiel die Würze des Besonderen geben, haben sich stets und vorrangig an ihre Arbeitsaufträge zu halten.

Von daher wird sicherlich der interessanteste Aspekt zum Beginn seiner Zeit in Berlin der Umgang mit Spielern wie Alves und Marcelinho sein. Für Stevens selbst liegt darin eine neue Herausforderung, denn bei den Einkäufen der letzten Jahre gab es bei Schalke zwar umstrittene Transfers, aber um den Typus des exzentrischen Ballkünstlers machten Assauer und Stevens zumeist einen großen Bogen.

Die Option genialer Schludrigkeit hat bislang nicht im Horizont eines Trainers gelegen, für den sein Leben fast immer Kampf bedeutet hat. Von seiner Jugend im limburgischen Kohlerevier, wo er mit 17 Jahren seinen Vater verlor und Familienvorstand wurde, über die harte Kärrnerarbeit im Mittelfeld des PSV Eindhoven, wo er anschließend lange als Jugendtrainer arbeitete, bevor er als Cheftrainer von Roda Kerkrade erstmals die Aufmerksamkeit von Rudi Assauer weckte.

Huub Stevens sagt von sich selbst, dass er ein harter Mann ist. Stur und aufbrausend ist er ebenfalls, und Fußball für ihn ein Spiel, in dem die Arbeit im Vordergrund steht. Grob ist diese Auffassung nicht, da sollte man sich nicht täuschen lassen, dafür ist sein Innenblick für die Zusammenhänge auf dem Platz zu aufmerksam und fein justiert. Rudi Assauer hat wiederholt gesagt, dass Stevens der beste Trainer sei, den Schalke je hatte.

Das war kein billiges Kompliment, sondern entsprang dem ehrlichen Respekt für einen Mann, mit dem es der Manager von Schalke 04 nicht immer leicht hatte. Aber selten findet man eben einen, der sich so weit ins Chaos auf dem Spielfeld hineinwagt und dort auch wieder herausfindet.

Nächsten Sonntag: Live aus dem Elfenbeinturm von Wolfram Eilenberger.

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