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Sport: Letzte Runde

Für Radprofi Jens Fiedler naht das Ende einer langen Abschiedstournee

Berlin – Irgendwo zwischen „Himmel und Hölle“ bewegt sich Jens Fiedler derzeit. Am Dienstag um 22.20 Uhr tritt der dreimalige Olympiasieger beim Champions Sprint im Velodrom zum letzten Mal in die Pedale. Dann ist die Radsportkarriere des 34-Jährigen endgültig vorbei. „Ich freue mich auf die Zeit danach, aber es wird schon etwas fehlen“, sagt der Sprinter. Er quält sich nicht bei der Großen Jagd 45 Minuten am Stück über die Bahn wie die Sechstagestars Robert Bartko und Guido Fulst. Nur ein paar Minuten sitzt er dreimal pro Nacht auf dem Rad. Das eigentliche Rennen, einmal um die Tische mit den biertrinkenden Gästen herum, dauert nur wenige Sekunden. Dennoch lieben die Zuschauer den Kurzarbeiter, der von sich selbst einst sagte, dass er „der Sonnyboy der Branche“ sei und den die Veranstalter in den vergangenen Jahren zu dem Hit „Sexbomb“ von Tom Jones auf die Ehrenrunde schickten.

Wie viele Sympathien er sich erworben hat, hat Fiedler in letzter Zeit oft zu spüren bekommen, als er wieder und wieder verabschiedet wurde. Ob im November beim Sechstagerennen in München oder Anfang der Woche in Stuttgart. „Die Standing Ovations dauerten nicht eine Runde, sondern ein ganzes Lied lang. Es ist ein anderer Applaus als bei der Ehrenrunde nach dem Olympiasieg. Es ist ein Dank an den Menschen“, sagt der Chemnitzer, der sicher ist, dass die Verabschiedung in Berlin, wo er zehn Jahre gelebt hat, noch viel emotionaler wird. Und das, obwohl in Stuttgart plötzlich sein vierjähriger Sohn Ramon und die zweijährige Tochter Leonie von einer Videoleinwand schauten und sagten: „Papa, komm nach Hause.“

Siebenmal hat er in Berlin die Sprintentscheidung gewonnen, diesmal will er schlicht „alles geben“. Seine Konkurrenten, darunter Stefan Nimke und René Wolff, mit denen er bei den Olympischen Spielen in Athen Gold im Teamsprint errang, stecken mitten in der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft. Fiedler hingegen setzte seit Athen andere Prioritäten, arbeitete als Geschäftsführer des Radteams XXL, nahm Sponsorentermine wahr, „und eigentlich war ich auch noch Profisportler, der seinen Arsch bewegen sollte“, erzählt Fiedler. Doch das Training kam zu kurz, „ich habe im letzten halben Jahr schon den Abstand zur Weltspitze gespürt“. Gestern war es nicht anders. Im gelben Trikot und weißer Hose mit dem Schriftzug „good bye“ auf dem Po fuhr er sich ein, die Fans bliesen in ihre Trillerpfeifen, als er an ihnen vorbeirollte. In 14,043 Sekunden sprintete er ins Ziel – und wurde Letzter der sechs Fahrer. Sieger Sören Lausberg war in 13,200 Sekunden deutlich schneller.

25 Jahre Leistungssport mit Olympiasiegen 1992, 1996 und 2004 haben Spuren hinterlassen. Der Körper meldete sich, das Krafttraining fiel Fiedler zunehmend schwer. „Im Sprint nur so mitrollen – das geht nicht“, sagt Fiedler, „wenn man nur noch Fünfter oder Sechster wird, macht man sich seinen Ruf kaputt.“

Damit das nicht passiert, tritt er jetzt ab. Dienstagabend gibt er ein Abschiedsfest, 230 Einladungen hat er verschickt. Er hat gedacht, dass „150 Leute tatsächlich kommen – aber es sagt keiner ab.“

Helen Ruwald

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